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Verpflichtung des Jobcenters zur Erbringung von Regelleistungen nach dem SGB II für bulgarische Antragsteller
Sozialgericht Dortmund, Urteil v. 20.07.2016 - S 32 AS 3037/16 ER
Leitsatz ( Juris )
1. Leitet das Jobcenter nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I einen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gerichteten Antrag eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der EU-Staatsangehöriger und nach Auffassung des Jobcenters von dem Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 Satz Nr. 2 SGB II erfasst ist, an den Sozialhilfeträger weiter und informiert den Antragsteller über diese Auffassung und die Weiterleitung, so ergibt sich daraus ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG gegen das Jobcenter. Dies gilt jedenfalls dann, wenn erkennbar ist, dass der Sozialhilfeträger der Rechtsprechung des BSG in Bezug auf §§ 21, 23 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 3 SGB XII nicht folgen und keine Sozialhilfeleistungen erbringen wird, und unabhängig von der Frage, ob § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I auf derartige Konstellationen überhaupt Anwendung findet.
2. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 (vormals: Art 12 VO (EWG) 1612/68) stellt ein anderes Aufenthaltsrecht als ein solches "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" i. S. d. Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der derzeit geltenden Fassung dar (entgegen LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.01.2016 - L 15 AS 226/15 B ER -; Anschluss an LSG Hamburg, Beschluss vom 27.05.2016 - L 4 AS 160/16 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 29.04.2016 - L 4 AS 182/16 B ER - und vom 13.04.2016 - L 2 AS 37/16 B ER -; LSG NRW, Beschluss vom 27.01.2016 - L 19 AS 29/16 B ER -; BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R -).
3. Eine Übertragung eines Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 auf volljährige Geschwister, die selbst nicht die Voraussetzungen von Art. 10 VO (EU) 492/2011 erfüllen, findet nicht statt. Diese sind auch nicht freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 6 i. V. m. § 3 FreizügG/EU (aus einem anderen Grund als dem der Arbeitssuche). Das ergibt sich daraus, dass Inhaber des Aufenthaltsrechts aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 nicht Unionsbürger i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind. Der Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist auch nicht im Wege einer erweiternden Analogie dahingehend auszulegen, dass er auch für Familienangehörige von Unionsbürgern, die ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 besitzen, gilt. Auch aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU i. V. m. §§ 27 ff. AufenthG oder § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i. V. m. Art. 6 GG ergibt sich für solche Geschwister kein Aufenthaltsrecht.
4. Eine einstweilige Anordnung über die vorläufige Verpflichtung zur Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III wegen des durch den Vorlagebeschluss des SG Mainz vom 18.04.2016 - S 3 AS 149/16 - eingeleiteten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 GG bei dem BVerfG kommt nicht in Betracht, weil der Kläger sich im dortigen Fall nicht auf eine Freizügigkeitsberechtigung als Unionsbürger berufen kann sondern Angehöriger eines Drittstaats und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 AufenthG ist. Die aufenthaltsrechtliche Situation ist insofern eine grundlegend andere, so dass sich jedenfalls zum Teil andere verfassungsrechtliche Fragen stellen.
5. Eine Rechtsprechung des BSG erzeugt, auch wenn sie gefestigt ist, keine "Quasi-Bindung" der Instanzgerichte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - etwa aufgrund einer Folgenabwägung -, wenn das erkennende Instanzgericht sich bei geklärtem Sachverhalt abschließend eine entgegenstehende Auffassung über das (Nicht-)Bestehen des Anordnungsanspruchs gebildet hat. Eine solche Abweichung im Eilverfahren von der BSG-Rechtsprechung verstößt auch nicht gegen Art. 1, 20 GG und Art. 19 Abs. 4 GG, wenn diese Rechtsprechung nicht sowohl verfassungsrechtlich geboten als auch zulässig ist. Beides ist hier nicht der Fall (entgegen LSG NRW, Beschlüsse vom 18.04.2016 - L 6 AS 2249/15 B ER, L 6 AS 21/16 B - und vom 21.04.2016 - L 6 AS 389/16 B ER -).
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=186863&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Quelle: http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2054/
Willi S
Leitsatz ( Juris )
1. Leitet das Jobcenter nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I einen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gerichteten Antrag eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der EU-Staatsangehöriger und nach Auffassung des Jobcenters von dem Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 Satz Nr. 2 SGB II erfasst ist, an den Sozialhilfeträger weiter und informiert den Antragsteller über diese Auffassung und die Weiterleitung, so ergibt sich daraus ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG gegen das Jobcenter. Dies gilt jedenfalls dann, wenn erkennbar ist, dass der Sozialhilfeträger der Rechtsprechung des BSG in Bezug auf §§ 21, 23 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 3 SGB XII nicht folgen und keine Sozialhilfeleistungen erbringen wird, und unabhängig von der Frage, ob § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I auf derartige Konstellationen überhaupt Anwendung findet.
2. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 (vormals: Art 12 VO (EWG) 1612/68) stellt ein anderes Aufenthaltsrecht als ein solches "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" i. S. d. Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der derzeit geltenden Fassung dar (entgegen LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.01.2016 - L 15 AS 226/15 B ER -; Anschluss an LSG Hamburg, Beschluss vom 27.05.2016 - L 4 AS 160/16 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 29.04.2016 - L 4 AS 182/16 B ER - und vom 13.04.2016 - L 2 AS 37/16 B ER -; LSG NRW, Beschluss vom 27.01.2016 - L 19 AS 29/16 B ER -; BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R -).
3. Eine Übertragung eines Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 auf volljährige Geschwister, die selbst nicht die Voraussetzungen von Art. 10 VO (EU) 492/2011 erfüllen, findet nicht statt. Diese sind auch nicht freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 6 i. V. m. § 3 FreizügG/EU (aus einem anderen Grund als dem der Arbeitssuche). Das ergibt sich daraus, dass Inhaber des Aufenthaltsrechts aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 nicht Unionsbürger i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind. Der Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist auch nicht im Wege einer erweiternden Analogie dahingehend auszulegen, dass er auch für Familienangehörige von Unionsbürgern, die ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 besitzen, gilt. Auch aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU i. V. m. §§ 27 ff. AufenthG oder § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i. V. m. Art. 6 GG ergibt sich für solche Geschwister kein Aufenthaltsrecht.
4. Eine einstweilige Anordnung über die vorläufige Verpflichtung zur Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III wegen des durch den Vorlagebeschluss des SG Mainz vom 18.04.2016 - S 3 AS 149/16 - eingeleiteten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 GG bei dem BVerfG kommt nicht in Betracht, weil der Kläger sich im dortigen Fall nicht auf eine Freizügigkeitsberechtigung als Unionsbürger berufen kann sondern Angehöriger eines Drittstaats und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 AufenthG ist. Die aufenthaltsrechtliche Situation ist insofern eine grundlegend andere, so dass sich jedenfalls zum Teil andere verfassungsrechtliche Fragen stellen.
5. Eine Rechtsprechung des BSG erzeugt, auch wenn sie gefestigt ist, keine "Quasi-Bindung" der Instanzgerichte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - etwa aufgrund einer Folgenabwägung -, wenn das erkennende Instanzgericht sich bei geklärtem Sachverhalt abschließend eine entgegenstehende Auffassung über das (Nicht-)Bestehen des Anordnungsanspruchs gebildet hat. Eine solche Abweichung im Eilverfahren von der BSG-Rechtsprechung verstößt auch nicht gegen Art. 1, 20 GG und Art. 19 Abs. 4 GG, wenn diese Rechtsprechung nicht sowohl verfassungsrechtlich geboten als auch zulässig ist. Beides ist hier nicht der Fall (entgegen LSG NRW, Beschlüsse vom 18.04.2016 - L 6 AS 2249/15 B ER, L 6 AS 21/16 B - und vom 21.04.2016 - L 6 AS 389/16 B ER -).
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=186863&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Quelle: http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2054/
Willi S
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