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: Entziehung/Versagungsbescheid

Seit der Neufassung des § 39 SGB II zum 01.04.2011 ist eine Entziehung der bewilligten Leistung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht mehr sofort vollziehbar gemäß § 39 Nr. 1 SGB II Bayerisches Landessozialgericht,Beschluss 04.2012, - L 7 AS 222/12/B ER


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Hartz IV kennt kein fiktives Einkommen - Denn dies widerspricht dem Grundsatz, dass fiktives, tatsächlich jedoch überhaupt nicht erzieltes Einkommen bei der Bedarfsberechnung nicht berücksichtigt werden darf - Rechtsprechung

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Beitrag von Willi Schartema Fr 29 Jun 2012 - 22:59

1. Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 12.08.2010, - L 11 AS 381/10 B ER - fiktives Einkommen- Mieteinnahmen

Die Berücksichtigung fiktiven Einkommens ist im Regelfall ausgeschlossen, eine Ausnahme gelte aber bei tatsächlich bestehenden, zumutbaren und kurzfristig realisierbaren, aber ungenutzten Selbsthilfemöglichkeiten. Auf eine solche bestehende Möglichkeit habe die HB durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags und die unentgeltliche Überlassung der bisher vermieteten Räume an Dritte verzichtet.


Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Als zu berücksichtigendes Einkommen zählen nach § 11 Abs. 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert.
Fiktives Einkommen ist dem Hilfebedürftigen regelmäßig nicht zuzurechnen (allg. Meinung, lediglich beispielshaft Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rdnr. 13 mwN).


Etwas anderes gilt jedoch bei tatsächlich bestehenden, zumutbaren und kurzfristig realisierbaren, aber ungenutzten Selbsthilfemöglichkeiten des Hilfebedürftigen. Zwar verlangt das Faktizitäts- oder Tatsächlichkeitsprinzip nicht nach den Ursachen einer tatsächlich vorhandenen Notlage zu fragen und auch bei selbstverschuldeten Notlagen voll zu leisten. Dennoch schließt das Subsidiaritätsprinzip des § 3 Abs. 3 SGB II bzw. § 9 Abs. 1 S. 1 SGB II einen Leistungsanspruch grundsätzlich aus, wenn die Nutzung tatsächlich bestehender Möglichkeiten zur kurzfristigen Selbsthilfe unterbleibt (vgl. Mecke aaO, § 11 Rdnr. 14 mwN).

2. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 03.02.2010, - L 15 AS 1081/09 B -

Hat die Leistungsbezieherin(LB) die Steuerrückerstattung direkt an ihre Schwester überwiesen und somit nier erhalten, lag der Überweisung als Rechtsgrund die Abtretung vom zugrunde, so dass die LB gegenüber der Finanzverwaltung auch keinen Anspruch auf Rückabwicklung gehabt hat.

Somit – hat das Jobcenter einen lediglich in der Vergangenheit gegenüber der Finanzverwaltung bestehenden Anspruch und damit fiktive Einnahmen als Einkommen angerechnet- Rechtswidrig!!

Denn dies widerspricht dem Grundsatz, dass fiktives, tatsächlich jedoch überhaupt nicht erzieltes Einkommen bei der Bedarfsberechnung nicht berücksichtigt werden darf (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. August 2008 - L 6 AS 734/07 ER; vgl. auch BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 75/08 R [Rn 20], wonach die fiktive Berücksichtigung tatsächlich nicht vorhandenen Einkommens dem grundsicherungsrechtlichen Faktizitätsgedanken zuwiderläuft, sowie BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 14 AS 2/08 R, NZS 2009, 580 [Rn 32] zur Nichtberücksichtigung von nicht zur Verfügung stehendem Einkommen).

Berücksichtigt werden dürfen nur die tatsächlich zugeflossenen Einnahmen sowie tatsächlich bestehende und ohne weiteres sofort realisierbare Ansprüche gegenüber Dritten, die bislang ohne hinreichenden Grund nicht geltend gemacht worden sind (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Februar 2009 - L 5 AS 34/09 B ER; Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, Rn 13; Spellbrink in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2009, § 11 SGB II Rn 4; Söhngen in: jurisPK-SGB II § 11 SGB II Rn 40; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 11 SGB II Rn 4 - tatsächliche Verfügbarkeit; Hänlein in: Gagel SGB III, § 11 SGB II Rn 17 ff.; Brühl in: LPK SGB II, 3. Auflage 2009, § 11 Rn 24; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rn 40 und 86f.).


Auch nach der Rechtsprechung des BVerfG kommt es ausschließlich auf die tatsächlichen Gegebenheiten und nicht auf etwaige fiktive Umstände an ("Gegenwärtigkeitsprinzip", vgl. Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803).

http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2011/08/hartz-iv-kennt-kein-fiktives-einkommen.html

Sozialgericht Nürnberg S 13 AS 1208/09 ER 28.10.2009
2. Instanz Bayerisches Landessozialgericht L 11 AS 18/10 B ER 12.04.2010
3. Instanz
Sachgebiet Grundsicherung für Arbeitsuchende
Entscheidung I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Nürnberg vom 28.10.2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.




Gründe:

I.

Die Antragstellerin (ASt) begehrt die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate Februar bis Oktober 2009 und die Übernahme von rückständigen Mietzahlungen in Höhe von 2.151,10 EUR sowie die Erstattung damit in Zusammenhang stehender Rechtsanwaltskosten in Höhe von 641,05 EUR.

Der ASt - und ihrem mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn - waren mit Bescheid der Antragsgegnerin (Ag) vom 19.09.2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 949,67 EUR für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.03.2009 bewilligt worden, die die Ag wegen des Eintrittes verschiedener Sanktionstatbestände (in Bezug auf die ASt) mit den Bescheiden vom 27.11.2008 u.a. für die Zeit ab dem 01.02.2009 auf einen Betrag von 794,79 EUR (Sanktion: 210,00 EUR) und für die Zeit ab dem 01.03.2009 auf eine Betrag von 653,79 EUR (Sanktion: 351,00 EUR) absenkte. Nachdem die ASt auch Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit bezogen habe, Unterlagen hierüber jedoch nicht vorgelegt worden seien, entzog die Ag - unter Hinweis auf die unterlassene Mitwirkung nach §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) - der Bedarfsgemeinschaft die bewilligten Leistungen für die Zeit ab dem 01.02.2009. Infolge der Leistungsentziehung wurde auch die Zahlung der Unterkunftskosten (496,79 EUR), die bislang direkt auf das Konto des Vermieters erfolgte, eingestellt. Der gegen den Entziehungsbescheid erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17.03.2009) und die ASt hat - soweit nach Lage der Akten ersichtlich - keine Klage erhoben.

Für die Folgezeit beantragte die ASt am 03.04.2009 bei der Ag erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die mit Bescheid vom 22.06.2009 für die Zeit ab dem 15.06.2006 bis 30.11.2009 bewilligt wurden, wobei die Antragsgegnerin berücksichtigte, dass der Sohn der ASt Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
(BAföG) in Höhe von 212,00 EUR monatlich erhält und somit ein Anspruch auf Unterkunftskosten nur noch in Höhe von 199,40 EUR besteht. Für die Zeit ab dem 01.02.2009 bis 15.06.2009 bestehe ein Leistungsanspruch mangels Mitwirkung nicht. Gegen diesen Bescheid erhob die ASt Widerspruch, über den die Ag - nach Lage der Akten - bislang nicht entschieden hat.

Mit weiteren Bescheiden vom 18.08.2009 und 09.09.2009 setzte die Ag die monatlichen Leistungen für den Zeitraum 01.07.2009 bis 31.08.2009 mit 560,79 EUR fest, wobei die Ag in Bezug auf die ASt einen Minderungsbetrag von 246,00 EUR wegen verschiedener Sanktionstatbestände berücksichtigte. Die ASt habe mehrere Meldetermine nicht wahrgenommen (Bescheid vom 22.06.2009 - Minderung 70 v.H. der Regelleistung). Den Zahlbetrag für September 2009 wies die Ag mit 275,40 EUR aus, wobei sie ausgehend von einem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 702,09 EUR (Regelleistung für ASt: 359,00 EUR; Unterkunftskosten für ASt: 248,39 EUR; Unterkunftskosten für den Sohn der ASt: 94,70 EUR) lediglich einen Minderungsbetrag von 246,00 EUR in Bezug auf durch die ASt verwirkte Sanktionstatbestände berücksichtigte.

Bereits am 07.09.2009 hat die ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die zustehenden Leistungen nach dem SGB II in voller Höhe zu erbringen. Zudem seien die Schulden in Höhe von 430,46 EUR, die sie bei ihrem Energieversorger habe, von der Ag zu bezahlen. Des Weiteren habe die Ag die Kosten für eine Abschlussprüfung ihres Sohnes darlehensweise zu übernehmen und die Leistungen seien nicht mehr auf das Konto des Vermieters zu überweisen.

Das SG hat mit Beschluss vom 28.10.2009 die aufschiebende Wirkung des Widerspruches der ASt gegen den Sanktionsbescheid vom 22.06.2009 angeordnet, weil es ernsthafte Zweifel in Bezug auf die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides gebe. Darüber hinaus hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Eine darlehensweise Übernahme der Prüfungskosten für den Sohn des ASt komme nicht in Betracht, weil ein entsprechender Antrag bereits mit Bescheid vom 09.04.2009 bestandskräftig abgelehnt worden sei. Dem Begehren, ungekürzte Leistungen auszahlen, habe die Ag bereits Rechnung getragen, denn ab dem 01.10.2009 erhalte die Ag wieder in voller Höhe Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt seien auch Miet- und Energieschulden nicht zu übernehmen, denn für das Bestehen solcher Verbindlichkeiten gebe es keine Belege.

Gegen diesen Beschluss hat die ASt am 04.12.2009 (Eingang SG) beim Bayer. Landessozialgericht (Eingang 11.01.2010) Beschwerde eingelegt. Nachdem die Ag in der Zeit von Februar bis Juni 2009 keine Leistungen gezahlt habe, seien Mietrückstände in Höhe von 2.151,10 EUR sowie Anwaltskosten in Höhe von 641,05 EUR entstanden. Infolge der Nichtzahlung ihrer Miete sei der Mietvertrag gekündigt worden, und sie sei vom Amtgericht verurteilt worden (Urteil vom 11.12.2009), die Wohnung zu räumen. Die Ag habe die Mietrückstände zu übernehmen und die vollständigen Leistungen für den Zeitraum Februar 2009 bis Oktober 2009 auszuzahlen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz - lediglich im Ergebnis - zu Recht abgelehnt.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur noch die Auszahlung ungekürzter Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis einschließlich 31.10.2009 sowie die Übernahme der Mietrückstände in Höhe von - tatsächlich - 2.051,10 EUR, die dadurch entstanden sind, dass die Ag die Unterkunftskosten für die Monate Februar bis Mai 2009 vollständig und für Juni 2009 teilweise nicht an den Vermieter gezahlt hat, nachdem an die ASt (und ihren Sohn) insgesamt keine Leistungen erbracht worden sind. Die weitergehenden Begehren (Energieschulden; Kosten der Abschlussprüfung ihres Sohnes), die erstinstanzlichen geltend gemacht worden waren, hat die ASt mit der Beschwerde nicht mehr weiter verfolgt.

Hierbei handelt es sich - zumindest in Bezug auf die Unterkunftskosten und die Mietrückstände - jedoch um den selben Streitgegenstand, denn die "Mietrückstände" sind durch die Nichtzahlung von Leistungen in einem streitigen Bedarfszeitraum aufgelaufen, so dass nicht allein durch Fälligkeit und Nichtzahlung des Mietzinses der ungedeckt gebliebene Unterkunftsbedarf als Mietschulden zu qualifizieren und gesondert zu behandeln wäre (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R - Pressemitteilung).

Bereits mit ihrem Eilantrag vom 07.09.2009 hat der ASt geltend gemacht, Alg II sei ihr in ungekürzter Höhe auszuzahlen. Dieses Begehren hat sie nunmehr im Rahmen des Beschwerdeverfahrens präzisiert und auf den Zeitraum 01.02.2009 bis 31.10.2009 beschränkt.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ag im Zusammenhang mit der Leistungsbewilligung vom 22.06.2009 bereits die mit Bescheid vom gleichen Tag verfügte Sanktion (70 v.H. - Minderungsbetrag 246,00 EUR für die Zeit ab 01.07.2009) umgesetzt und in der Folgezeit lediglich - nach Lage der Akten nicht nachvollziehbare - weitere Absenkungen vorgenommen hat, womit höhere Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2009 bis 30.11.2009 im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens durch eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Bezug auf den Leistungsbescheid vom 22.06.2009 in der Gestalt der Bescheide vom 18.08.2009 und 09.09.2009 geltend zu machen wären.

Gleiches gilt für den mit der Beschwerde geltend gemachten Anspruch im Leistungszeitraum vom 01.02.2009 bis 31.03.2009, der bereits mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2009 bestandskräftig abgelehnt worden war. Im Rahmen des Bewilligungsbescheides vom 22.06.2009 hat die Ag jedoch wieder ein Verwaltungsverfahren eröffnet, indem sie die nachträgliche Leistungserbringung auch für die Monate Februar und März 2009 erneut abgelehnt hat. Auch dieser Verfügungssatz des Bescheides vom 22.06.2009 wird vom Widerspruch der ASt erfasst.

Damit stellt für die Frage, ob der Ag zur Erbringung von Leistungen bzw. ungekürzten Leistungen im Zeitraum vom 01.02.2009 bis 31.10.2009 zu verpflichten ist, § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dar. In diesem Zusammenhang ist nur inzident zu prüfen, ob die Leistungsversagung (bis 14.06.2009) bzw. die Leistungsabsenkung wie mit Bescheid vom 22.06.2009 (Sanktionsbescheid) verfügt, einer rechtlichen Prüfung standhalten kann. Eine gesonderte Prüfung dieser Verfügungssätze am Maßstab des § 86b Abs 1 Nr. 2 SGG ist insoweit nicht geboten (vgl. bereits Beschluss des Senates vom 21.01.2010 -
L 11 AS 785/09 B ER - veröffentlicht in juris).

Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller aaO, § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Unter Beachtung dieser Kriterien ist dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht zu entsprechen.

Nachdem sich die Ag mit streitgegenständlichen Bescheid vom 15.06.2009 geweigert hat, nachträglich Leistungen für den Zeitraum 01.02.2009 bis 14.06.2009 auszuzahlen, und diese Entscheidung bereits mangels Ermessensausübung offenkundig rechtswidrig ist, sind allein deshalb die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens in Bezug auf die Nachzahlung der Leistungen für den Zeitraum 01.02.2009 bis 31.10.2009 als offen anzusehen.

Die Ag ist gleichwohl nicht zur Zahlung von Leistungen zu verpflichten, denn ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht. Es ist ständige Rechtsprechung des Senates (zuletzt Beschluss des Senates vom 21.01.2010 aaO), dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit im Streit stehen, in aller Regel ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht glaubhaft zu machen ist.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und sich ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht.

Beides ist vorliegend nicht gegeben. Der von der ASt geltend gemachte Leistungsanspruch ist nicht offenkundig gegeben, auch wenn die Ag in Bezug auf die Leistungsversagung für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 14.06.2009 kein Ermessen ausgeübt hat. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die ASt darauf hingewiesen worden wäre, es käme eine Leistungsversagung wegen fehlender Mitwirkung für die Zeit ab dem 01.04.2009 in Betracht. Hierfür ist in aller Regel - insbesondere im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes - vorauszusetzen, dass eine Reduzierung des von der Verwaltung auszuübenden Ermessens "auf Null" darzulegen und zu beweisen ist. Diesbezüglich fehlen jedoch jegliche Anhaltspunkte. In Bezug auf die Entscheidung des SG, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Sanktionsbescheid vom 22.06.2009 anzuordnen, teilt der Senat zwar die Auffassung des SG, dass Gesichtspunkte gegen die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides sprechen. Gleichwohl ist dessen Rechtswidrigkeit nicht so offenkundig, dass die sofortige Nachzahlung der gekürzten Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit zu beanspruchen wäre. Das SG hat in diesem Zusammenhang übersehen, dass vorliegend allein durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches in Bezug auf den Sanktionsbescheid vom 22.06.2009 kein Leistungsanspruch entsteht, denn die Ag hatte mit dem Leistungsbescheid vom 22.06.2009 die Wirkungen der Sanktion bereits umgesetzt, und soweit das SG der Auffassung gewesen sein sollte, der ASt seien diese Leistungen zuzusprechen, wäre insoweit eine Regelungsanordnung zu prüfen gewesen (vgl. bereits oben). Soweit eine über die Sanktion hinausgehende Minderung des Leistungsanspruches für die Zeit ab dem 15.06.2009 bemängelt wird, beruht diese auf der Anrechnung des vom Sohn der ASt bezogenen BAföG als Einkommen. Dies ist beim derzeitigen Stand des Verfahrens nicht ohne weiteres als rechtswidrig anzusehen.

Eine Verpflichtung zur Auszahlung von Alg II für bereits abgelaufene Leistungszeiträume ist auch nicht geboten, weil die ASt nichts zu einer existenziellen Gefährdung vorgetragen hat, die durch eine Nachzahlung der Regelleistungen für vergangene Zeiträume beseitigt werden könnte oder beseitigen werden müsste.

Eine andere Betrachtungsweise ist auch nicht in Bezug auf die Unterkunftskosten der ASt angezeigt, denn nach den vorgelegten Unterlagen hat der Vermieter der ASt die von ihr bewohnte Wohnung gekündigt und - auf Klage vom 26.08.2009 - ein Räumungsurteil erwirkt (AG A-Stadt, Urteil vom 11.12.2009 - 27 C 6481/09). Zudem war der Vermieter der ASt - ausweislich des Protokolls dieses Rechtsstreites - nicht bereit, das Mietverhältnis weiter aufrecht zu erhalten. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde anderes nicht vorgetragen.

Im Ergebnis hatte es die ASt bereits seit dem 26.10.2009 nicht mehr selbst in der Hand, die Mietrückstände auszugleichen und so die Unwirksamkeit der Kündigung herbeizuführen (§ 569 Abs 3 Nr. 2 BGB), um den Verlust ihrer Wohnung zu vermeiden, denn die Wirkungen des § 569 Abs 3 Nr. 2 BGB können längstens innerhalb von zwei Monaten ab Rechtshängigkeit einer Räumungsklage herbeigeführt werden. Es besteht daher keine Notwendigkeit, der ASt - entgegen dem Grundsatz "keine Leistungen für bereits abgelaufene Leistungszeiträume" - die Unterkunftskosten für die streitbefangenen Zeiträume vom 01.02.2009 bis 31.10.2009 unter Vorwegnahme der Hauptsache zuzusprechen. Die ASt ist aufgrund der derzeitigen Situation nicht mehr in der Lage, ihren bisherigen Wohnraum zu erhalten, so dass sie auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu verweisen ist. Soweit ihr dort Unterkunftskosten für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 14.06.2009 - den Zeitraum für den aufgrund der Nichtzahlung der Leistungen die zur Kündigung führenden Zahlungsrückstände aufgelaufen sind - zuzusprechen wären, kann die ASt allenfalls die Zahlungsrückstände gegenüber ihrem Vermieter ausgleichen, nicht jedoch ihren bisherigen Wohnraum erhalten, so dass ihr zumutbar ist, eine etwaige Nachzahlung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu erwirken. Die Gefährdung existenzieller Bedürfnisse, wie vorliegend der Verlust des bisherigen Wohnraumes, ist derzeit durch eine Nachzahlung nicht zu verhindern, und die ASt hat keine weitergehenden Nachteile zu erwarten, die im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens nicht auszugleichen wären.

Soweit die ASt die Kosten eines gegnerischen Rechtsanwaltes geltend macht, die ihr im Rahmen der Räumungsklage mit Urteil vom 11.12.2009 auferlegt worden sind, konnte dies nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens sein. Es handelt sich somit um eine Antragsänderung, die nach § 99 Abs 1 SGG jedoch nur zulässig ist, wenn die Ag zustimmt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

Beides ist nicht der Fall, denn die Ag hat sich zum einen nicht auf den geänderten Antrag eingelassen, § 99 Abs 2 SGG. Zum anderen hat der Senat - nach Abwägung der Umstände - keine Veranlassung diesen Antrag als sachdienlich anzusehen, denn die Ag hatte bislang keine Gelegenheit sich mit der Angelegenheit verwaltungsintern auseinander zusetzen und der Rechtsstreit ist in Bezug auf das geltend gemachte Leistungsbegehren entscheidungsreif. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Einbeziehung dieses Streitgegenstandes in das laufende Verfahren zu einer endgültigen Beilegung des Rechtsstreites führen könnte, insbesondere weil eine Rechtsgrundlage für das geltende gemachte Begehren nicht ersichtlich ist, und nach dem prozessualen Verhalten der ASt nicht zu erwarten ist, eine gerichtliche Entscheidung könne einen weitergehenden Rechtsstreit vermeiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen des ASt.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=131342

Gruß Willi S
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