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§ 42a Darlehen Widerspruch hat aufschiebende Wirkung
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Hilfe in allen Lebenslagen Hartz IV :: Rechtsbeziehungen zwischen Hilfebedürftigen, Sozialhilfeträger :: Urteile: BGH :: Urteile: BVerfG :: Urteile: BSG:
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Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Mietkautionsdarlehen - Unzulässigkeit der Tilgung durch Aufrechnung analog § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 oder aus erwirkter Verzichtserklärung des Hilfebedürftigen
BSG, Urteil vom 22.03.2012, - B 4 AS 26/10 R -
Kein Einbehalt von Tilgungsraten für Mietkaution.
Nach
§ 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche
auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen,
soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I
pfändbar sind. § 54 Abs 4 SGB I bestimmt, dass Ansprüche auf laufende
Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.
Insofern
ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass es schon unter
Berücksichtigung der Höhe der gesamten SGB II-Leistungen des Klägers im
streitigen Zeitraum und des unpfändbaren Arbeitseinkommens nach § 850c
Abs 1 S 1 ZPO an einer Pfändbarkeit unter Beachtung der für
Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff ZPO geltenden Bestimmungen fehlt.
Auf
die Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II kann der Beklagte sich
gleichfalls nicht stützen. Nach dieser Vorschrift wird das Darlehen
durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vH der an den
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft
lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt.
Diese
Tilgungsregelung bezieht sich ausdrücklich nur auf Darlehen nach § 23
Abs 1 S 1 SGB II, die erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den
Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf
zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12
Abs 2 Nr 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann.
Mietkautionsdarlehen werden von dieser Vorschrift schon nach ihrem
Wortlaut nicht erfasst.
Auch
eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II auf den vorliegenden
Sachverhalt ist nicht möglich, weil es an einer planwidrigen
Regelungslücke fehlt. Ob eine planwidrige Regelungslücke innerhalb des
Regelungszusammenhangs eines Gesetzes - im Sinne des Fehlens rechtlicher
Regelungen dort, wo sie für bestimmte Sachverhalte erwartet werden -
anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend von den gesetzlichen Regelungen
selbst, den ihr zugrunde liegenden Regelungsabsichten, den verfolgten
Zwecken und Wertungen, auch gemessen am Maßstab der gesamten
Rechtsordnung (vgl zB BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 108/10 R - BSGE
107, 217 ff = SozR 4-4200 § 26 Nr 1, RdNr 24 mwN).
§
22 Abs 3 SGB II in seiner bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung sieht ua
vor, dass eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort
der neuen Unterkunft zuständigen Träger übernommen werden kann.
Mit
der Anfügung des S 3 in § 22 Abs 3 SGB II durch das Gesetz zur Änderung
des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006
(BGBl I 558) hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass
Leistungen für Mietkautionen als Darlehen erbracht werden, ohne
gleichzeitig eine Tilgungsregelung aufzunehmen. Aus dem
Gesamtzusammenhang mit den weiteren Darlehensregelungen im SGB II nach
der Rechtslage bis zum 31.3.2011 ergibt sich, dass die Tilgung einer den
Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnenden Leistung aus der
laufenden Regelleistung nicht erfolgen konnte.
Dies
folgt insbesondere aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der Einfügung
des § 22 Abs 3 S 3 SGB II in § 23 Abs 1 SGB II bereits eine
Tilgungsregelung enthalten war, ohne dass § 22 Abs 3 S 3 SGB II auf
diese Vorschrift verweist oder deren entsprechende Anwendung angeordnet
hat.
Da der Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II und
einer analogen Anwendung auf Darlehen für Mietkautionen andere
Tatbestände zugrunde liegen, kann auch nicht von einem unbewussten
Unterlassen des Gesetzgebers ausgegangen werden, der die Gerichte zu
einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung berechtigen würde (vgl BSG
Urteil vom 25.8.2011 - B 11 AL 30/10 R - jurisRdNr 19 f, zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Insofern
ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit der Tilgung eines
Darlehens für unabweisbare Bedarfe des laufenden Lebensunterhalts nach §
23 Abs 1 S 3 SGB II vor dem Hintergrund erfolgt ist, dass in der
pauschalierten Regelleistung seit der Neuordnung der Leistungen zur
Deckung des Existenzminimums auch einmalige Bedarfe enthalten sind.
Wegen
ihrer Höhe können diese einmaligen Bedarfe nicht aus der jeweiligen
monatlichen Regelleistung, sondern nur aus dem laufend anzusparenden und
nach § 12 Abs 2 S 1 Nr 4 SGB II geschützten Freibetrag für notwendige
Anschaffungen erfolgen (vgl zB Behrend in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, §
23 RdNr 24). Nur vor diesem Hintergrund enthält § 23 Abs 1 S 3 SGB II -
als Ausnahmeregelung - ein über § 51 SGB I hinausgehendes
Aufrechnungsrecht des Sozialleistungsträgers, das sich ausschließlich
auf eine Darlehenstilgung bei den Regelbedarfen bezieht und seine
Rechtfertigung in der "Vorfinanzierung" einmaliger Bedarfe bei (noch)
fehlendem Ansparbetrag findet.
Die
von dem Grundsicherungsträger darlehensweise übernommene Mietkaution
wird dem Leistungsberechtigten aber erst nach Beendigung des
Mietverhältnisses von dem Vermieter erstattet. Er hat keine Möglichkeit,
hierüber zu verfügen und auftretende Bedarfe zu decken. Eine
Rechtfertigung für eine vor diesem Zeitpunkt einsetzende
Rückzahlungspflicht des Leistungsberechtigten gegenüber dem SGB
II-Träger ist daher nicht erkennbar (vgl bereits zur Sozialhilfe: OVG
Lüneburg Beschluss vom 27.3.2003 - 12 ME 52/03, FEVS 54, 526 ff, 528).
Die
mit Wirkung zum 1.4.2011 eingefügte Neuregelung des § 42a Abs 2 SGB II,
wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen (ua für Mietkautionen) ab dem
Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in
Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt werden, stellt vor
diesem Hintergrund eine echte Rechtsänderung dar (ungenau ist die
Gesetzesbegründung in BT-Drucks 17/3404 S 51, 116, wenn dort - für die
auch erfasste Tilgung von Mietkautionsdarlehen, also für sämtliche
Darlehensarten - darauf abgestellt wird, dass - bisher nur für einmalige
Bedarfe des Lebensunterhalts - geschütztes Vermögen dem
Hilfebedürftigen ja gerade belassen werde, um besondere Bedarfe zu
decken und notwendige Anschaffungen zu tätigen).
Zudem
ist die Regelung des § 23 Abs 3 SGB II eng auszulegen, weil das
verfassungsrechtliche Existenzminimum nach Art 1 iVm Art 20 Abs 1 GG
betroffen ist. Der vom BVerfG in seinem Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09,
1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris RdNr 136) betonte Grundsatz, dass die
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch einen
gesetzlichen Anspruch gesichert sein muss, betrifft - als Kehrseite der
Anspruchsgewährung - auch den Eingriff in das gesetzlich geregelte
Existenzminimum, wie sich auch weiteren Regelungen des SGB II, etwa § 31
SGB II, entnehmen lässt. Eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB
II auf andere Darlehen als solche nach § 23 Abs 1 S 1 SGB II beinhaltet
die Gefahr einer Bedarfsunterdeckung bei den laufenden Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts, die zumindest einer gesetzlichen
Regelung bedarf.
Der
Beklagte kann sich bei der Tilgung des Mietkautionsdarlehens durch
Einbehaltung von 10 vH der Regelleistung auch nicht auf die von ihm
veranlasste und formulierte "Abtretungserklärung" berufen. Selbst wenn
man in dieser Erklärung einen Verzicht auf den streitigen Teil der
Regelleistung sehen würde (vgl auch zur Auslegung von "typischen
Erklärungen" im Kindergeldrecht durch das Revisionsgericht: BSGE 63, 167
ff = SozR 1500 § 54 Nr 85; BSGE 76, 203 ff = SozR 3-5870 § 10 Nr 7),
wäre dieser unwirksam.
Gemäß
§ 46 Abs 1 SGB I kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch
schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden;
der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen
werden. Bei Annahme einer Verzichtserklärung wäre deren Widerruf -
insofern fehlen weitergehende Feststellungen des LSG - ggf bereits in
dem Inhalt des vom LSG in Bezug genommenen Widerspruchs vom 8.4.2008 zu
sehen. Hierin hat der Kläger darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen
Voraussetzungen für das ihm "zumindest als verbindlich dargelegte"
Einverständnis mit der Tilgung nicht vorlägen und die
"Rückzahlungsvereinbarung" ausdrücklich angefochten. Der Senat kann
weiter offenlassen, ob ein in der Erklärung vom 25.2.2008 ggf zu
sehender Verzicht wegen Anfechtung (§§ 119 ff BGB, § 123 BGB) von Anfang
an unwirksam wäre (§ 142 BGB), weil ein Verzicht auf Teile der
Regelleistung in der hier von dem Beklagten veranlassten Form jedenfalls
unwirksam wäre.
Nach
§ 46 Abs 2 SGB I ist der Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen
unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger
belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Eine ausdrückliche
Bestimmung dazu, wann eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt,
existiert nicht (Gitter in: Bochumer Kommentar zum SGB, Allgemeiner
Teil, 1979, § 46 RdNr 14). Den Gesetzesmaterialien zu § 46 SGB I ist -
für die ersten beiden Alternativen des § 46 Abs 2 SGB I - lediglich zu
entnehmen, dass § 46 Abs 2 SGB I "insbesondere" verhindern will, dass
durch einen Verzicht auf Sozialleistungen Unterhaltsverpflichtete und
Leistungsträger stärker als gesetzlich vorgesehen belastet werden
(BT-Drucks 7/868 S 31).
Zur
Unwirksamkeit eines Verzichts durch Umgehung von Rechtsvorschriften
finden sich keine Ausführungen. Gleichzeitig wird deutlich, dass weitere
Umstände ("insbesondere") eine Unwirksamkeit des Verzichts begründen
können. Ob eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt, ist anhand des
Sinns und Zwecks der das konkrete Sozialrechtsverhältnis zwischen
Leistungsberechtigten und Sozialleistungsträger prägenden
Rechtsvorschriften zu beurteilen. Hierbei ist zu prüfen, ob mit diesen
Rechtsvorschriften (auch) ein objektiver Rechtswert verfolgt wird, der
durch einen Verzicht tangiert würde (Lilge in SGB I, 3. Aufl 2012, § 46
SGB I RdNr 32; Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2012, § 46 RdNr 17).
Abzustellen ist darauf, ob durch den Verzicht die Systematik der
rechtlichen Regelungen (vgl Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 46 SGB I RdNr
18, Stand Mai 2007) und die ihnen zugrunde liegenden Wertentscheidungen
des Gesetzgebers beeinträchtigt würden (vgl zum nicht wirksamen Verzicht
auf eine Befreiung von der Versicherungspflicht BSGE 34, 277, 278 und
auf Berechnungselemente der Rentenversicherungsgesetze: BSG Urteil vom
8.3.1979 - 12 RK 32/78 - juris RdNr 15).
Dies ist hier der Fall.
Es
handelt sich um den Versuch des Grundsicherungsträgers, unter Absehen
von den speziellen Voraussetzungen und Grenzen des SGB I und des SGB II
das grundsätzliche Verbot der Aufrechnung bzw Einbehaltung von
existenzsichernden Leistungen zu umgehen (vgl zur Unwirksamkeit eines
"erwirkten Verzichts" durch den Sozialhilfeträger: Krahmer in LPK-SGB I,
2. Aufl 2007, § 46 SGB I RdNr 12).
Nach
den nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen
und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat
der Beklagte die Mietkaution hier nur unter der Voraussetzung
bewilligt, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der Erklärung vom
25.2.2008 verpflichtet und die Abgabe der Erklärung selbst veranlasst.
Wie oben bereits dargelegt, ergibt sich jedoch weder aus der
Aufrechnungsregelung des § 51 SGB I noch aus einer analogen Anwendung
des § 23 Abs 1 S 3 SGB II eine Berechtigung des Beklagten zur
Einbehaltung von Teilen der Regelleistung zur Rückzahlung eines
Mietkautionsdarlehens. Mit diesem Verzicht würden daher die für den
streitigen Zeitraum geltenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur
Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums unterlaufen.
BRD · Bundessozialgericht4. Senat
UrteilFormat
1. InstanzSozialgericht Schleswig S 6 AS 546/08 29.01.2009 2. InstanzSchleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 6 AS 24/09
25.11.2009 3. InstanzBundessozialgericht B 4 AS 26/10 R 22.03.2012
SachgebietGrundsicherung für Arbeitsuchende EntscheidungDie Revision
des
Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 25. November 2009 wird zurückgewiesen. Der
Tenor des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar
2009 wird klarstellend wie folgt gefasst: Der Beklagte wird unter
Abänderung der Bescheide vom 4. März 2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 17. April 2008 verurteilt, dem Kläger für den
Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 SGB II-Leistungen in der
im Bewilligungsbescheid vom 4. März 2008 genannten Höhe ohne Tilgung zu
leisten. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers
auch für das Revisionsverfahren.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist,
Tilgungsraten für ein Mietkautionsdarlehen von laufenden Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 1.3.2008 bis 31.8.2008
einzubehalten.
2
Der laufend SGB II-Leistungen beziehende Kläger teilte dem Beklagten am
25.2.2008 seinen Umzug zum 1.3.2008 in eine am 22.2.2008 angemietete
Wohnung mit. Er beantragte die Übernahme einer Mietkaution für die neue
Wohnung in Höhe von 639 Euro als rückzahlbares Darlehen und
unterzeichnete einen von dem Beklagten vorformulierten Vordruck, wonach
er seine Rechte aus dem Anspruch aus der Mietkaution gegenüber seinem
Vermieter an den Beklagten abtrete. Ferner heißt es in der
"Abtretungserklärung" vom 25.2.2008: "Das Darlehen ist in Anlehnung an §
23
Abs 1 SGB II durch monatliche Tilgung in Höhe von mindestens 10 % der
für die Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Regelleistung zu tilgen. Sollte
diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, wird der Gesamtbetrag
in einer Summe fällig."
3
Der Beklagte bewilligte die Mietkaution in Höhe von 639 Euro als
Darlehen und teilte mit, das Darlehen sei gemäß der unterzeichneten
Abtretungserklärung durch monatliche Raten in Höhe von 35 Euro zu
tilgen. Sollte diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, werde
der Gesamtbetrag in einer Summe fällig. Der Betrag von 35 Euro werde ab
1.3.2008 zur Tilgung des Darlehens einbehalten (Bescheid vom 4.3.2008).
Mit weiterem Bescheid vom 4.3.2008 bewilligte der Beklagte SGB
II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.3.2008 bis 31.8.2008 und behielt ab
1.3.2008 monatlich 35 Euro ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008
änderte er den Bescheid vom 4.3.2008 für die Zeit ab 1.6.2008 durch
Ermäßigung der Tilgungsrate auf 17 Euro monatlich und wies den
Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Einbehaltung von 10 %
- während des Erhalts eines Zuschlags nach § 24
SGB II - bzw 5 % der laufend gewährten Leistungen sei angemessen und
verhältnismäßig, weil der belastenden Wirkung der Einbehaltung das
Interesse des Sozialleistungsträgers an einer möglichst zeitnahen
Rückführung von Darlehen und der Grundsatz der steuersparsamen
Mittelverwendung gegenüberstünden. Würde ganz von einer Einbehaltung
abgesehen, käme dies in einigen Fällen der Bewilligung einer Mietkaution
als Zuschuss gleich, weil der Leistungsträger zwar durch die Abtretung
einen Anspruch gegen den Vermieter auf Auszahlung der Mietkaution bei
Beendigung des Mietverhältnisses habe, er sich aber auch etwaige
Ansprüche des Vermieters aus dem privatrechtlichen Schuldverhältnis
zwischen Vermieter und Mieter entgegenhalten lassen müsse, die teilweise
zum Erlöschen des Auszahlungsanspruchs führten. Der Mieter habe es in
der Hand, ob die Mietkaution wieder an ihn ausgezahlt werde oder nicht.
4
Das SG hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, die mit
Bewilligungsbescheid vom 4.3.2008 für den Zeitraum 1.3.2008 bis
31.8.2008 zuerkannten monatlichen Leistungen ohne Einbehaltung von
Teilbeträgen zur Tilgung des Darlehens zu zahlen (Gerichtsbescheid vom
29.1.2009). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen
(Urteil vom 25.11.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG
ua ausgeführt, richtige Klageart sei die echte Leistungsklage. Einer
Aufhebung der Bescheide vom 4.3.2009 habe es nicht bedurft, weil die
angegriffenen Einbehaltungen zur Tilgung des Mietkautionsdarlehens nicht
durch Verwaltungsakt erfolgt seien. Die auf die Erklärung des Klägers
vom 25.2.2008 gestützte Entscheidung des Beklagten, Teile der laufenden
Leistungen nach dem SGB II zur Tilgung des Darlehens einzubehalten, sei
als Aufrechnung anzusehen. Die Aufrechnungserklärung sei unwirksam, weil
die gesamte Grundsicherungsleistung in Höhe von monatlich 760 Euro bis
einschließlich 30.4.2008, 746,67 Euro für Mai 2008 und 680 Euro für die
Zeit von Juni 2008 bis August 2008 unpfändbar gewesen sei und deshalb
auch keine Aufrechnung habe erklärt werden können. Auch § 23
Abs 1 S 3 SGB II gebe dem Beklagten nicht das Recht zur Aufrechnung,
weil die im Streit stehende Mietkaution keine Regelleistung im Sinne von
§ 20 SGB II sei, sondern zu den in § 22
SGB II geregelten Leistungen für Unterkunft und Heizung gehöre. Für
eine analoge Anwendung der Vorschrift fehle es an einer planwidrigen
Regelungslücke. Die Gesetzesmaterialien, der Gesamtzusammenhang der §§ 20
ff SGB II mit ihren unterschiedlichen Regelungszwecken und die bereits
unter Geltung des BSHG von der Rechtsprechung beanstandete Praxis der
örtlichen Sozialhilfeträger, Mietkautionsdarlehen ohne explizite
gesetzliche Grundlage durch regelmäßigen Einbehalt zu tilgen, sprächen
dafür, dass der Gesetzgeber von einem tilgungsfreien (und zinsfreien)
Darlehen ausgegangen sei. Der Beklagte könnte sich auch nicht auf die
Erklärung vom 25.2.2008 als Rechtsgrund für eine Aufrechnung berufen.
Ihm sei es in Anwendung des in § 242 BGB geregelten und über § 61
S 2 SGB X anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich
auf eine solche Erklärung als Rechtsgrundlage für eine Aufrechnung zu
berufen, wenn er selbst die rechtswidrige Rückzahlungsvereinbarung
veranlasst habe. Dies stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Auch
wenn man in der Tilgungsvereinbarung einen Verzicht iS des § 46
Abs 1 1. Halbs SGB I sehe, liege eine unzulässige Rechtsausübung vor,
wenn dieser vom Leistungsträger rechtswidrig herbeigeführt worden sei.
Der Beklagte habe die Mietkaution vorliegend unter der Bedingung
gewährt, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der entsprechenden
Erklärung verpflichte. Diese Tatsache stehe einer Berufung auf die
Erklärung entgegen.
5
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, der Bescheid lasse sich auf § 22 Abs 3 S 3 SGB II iVm § 23 Abs 1 S 3 SGB II stützen. § 22
Abs 3 S 3 SGB II sei zu entnehmen, dass ein Zuschuss seitens des
Gesetzgebers nicht gewollt sei. Die Norm enthalte keine Bestimmung
darüber, dass lediglich eine Sicherung in Form einer Abtretung des
Rückzahlungsanspruchs zu erfolgen habe. Da die Regelungen des SGB II den
Leistungsbezug möglichst kurz halten sollten, erscheine es für die
Leistungsverwaltung äußerst unökonomisch und praktisch kaum zu
bewältigen, beim - ggf ehemaligen - Leistungsberechtigten regelmäßig
nachzufragen, ob das Mietverhältnis gekündigt und die Mietkaution
ausgezahlt worden sei. Die konkrete Form der Darlehensgewährung stehe im
pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers. Die zum 1.4.2011 in Kraft
getretene Regelung des § 42a SGB II belege, dass in dem streitigen Zeitraum eine Regelungslücke vorgelegen habe.
6
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 25. November 2009 und den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar 2009 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
7
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
8
Er trägt vor, aus dem Willen des Gesetzgebers ergebe sich lediglich,
dass dieser keinen Zuschuss gewollt habe. Ein Darlehen werde nicht
dadurch zu einem Zuschuss, dass es nicht während des Leistungsbezugs
zwangsweise zurückgeführt werde. Die Abtretungserklärung habe er nicht
freiwillig unterschrieben, sondern sich in einer Zwangslage befunden.
Leistungsbezieher würden nicht darüber belehrt, dass die
Mietkautionsdarlehen freiwillig zurückgeführt würden und gemäß § 46 Abs 1 SGB I der Verzicht auf Sozialleistungen jederzeit widerrufen werden könne.
II
9
Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet.
10
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist zunächst der die Mietkaution
bewilligende Bescheid vom 4.3.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 17.4.2008, den der Kläger nur angefochten hat,
soweit der Beklagte einen monatlichen Betrag zur Tilgung der
Mietkaution von den laufenden SGB II-Leistungen einbehalten hat. Der am
gleichen Tag erlassene Bewilligungsbescheid vom 4.3.2008, mit dem der
Beklagte um 35 Euro monatlich gekürzte Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für den streitigen Zeitraum vom 1.3.2008 bis 31.8.2008
bewilligt hat, ist ebenfalls Gegenstand des Verfahrens, weil beide
Bescheide eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheids
zur Höhe der SGB II-Leistungen in dem streitigen Zeitraum darstellen
(vgl zB BSGE 84, 225, 227 = SozR 3-4100 § 119 Nr 17 S 78; BSGE 95, 8 ff = SozR 4-4300 § 140 Nr 1,
RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1, RdNr 5; BSG SozR 4-4200 § 31 Nr 4
mwN). Dies macht auch der Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008 in seinem
Verfügungssatz mit einem Bezug zwischen der "Tilgungsverfügung" in dem
Mietkautionsbescheid vom 4.3.2008 und dem Bewilligungsbescheid vom
4.3.2008 deutlich, wenn dort "in Abänderung des Bewilligungsbescheids
vom 4.3.2008" für die Zeit ab 1.6.2008 anstelle von 35 Euro nunmehr 17
Euro von den laufenden Leistungen zur Tilgung des Mietkautionsdarlehens
einbehalten werden.
11
Hiergegen ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die
zulässige Klageart, weil nicht nur die Bewilligung der Mietkaution,
sondern auch die Regelung zur Tilgung in dem Bescheid vom 4.3.2008 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.4.2008 ein Verwaltungsakt
ist. Entgegen der Ansicht des LSG hat der Beklagte die Einbehaltung von
Teilen der Regelleistung, die das LSG als Aufrechnung angesehen hat,
hier in der Handlungsform eines Verwaltungsaktes vorgenommen. Insofern
ist durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln, ob sich den gewählten
Formulierungen unter Berücksichtigung des maßgebenden rechtlichen
Gesichtspunktes des "Empfängerhorizonts" eines verständigen Beteiligten,
der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in
ihre Entscheidung einbezogen hat (BSGE 67, 104 ff, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11; BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R
- BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18), entnehmen lässt,
dass eine verbindliche Regelung durch Verwaltungsakt getroffen werden
sollte. Eine Befugnis, das Vorliegen und den Inhalt von Verwaltungsakten
selbstständig - und damit auch abweichend von den Vorinstanzen -
auszulegen, ergibt sich für das Revisionsgericht insbesondere, soweit es
um die Berücksichtigung der maßgebenden Umstände und die Beachtung der
gesetzlichen Auslegungsregeln geht (stRspr des BSG, vgl etwa Urteil vom
29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - RdNr 21; Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 3b mwN). Wie die Bezugnahme auf § 23
Abs 1 S 3 SGB II in der formulierten Erklärung vom 25.2.2008 zeigt,
wollte der Beklagte die Einbehaltung von Teilen der Regelleistung im
Ergebnis auf mehrere Rechtsgrundlagen, also nicht nur auf die Erklärung
des Klägers, stützen. Zudem war der Bescheid vom 4.3.2008 auch
hinsichtlich der Tilgungsentscheidung mit einer Rechtsbehelfsbelehrung
versehen. Weiter hat der Beklagte den "Bescheid vom 4.3.2008" mit dem
Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008 abgeändert und eine neue Entscheidung
hinsichtlich der Höhe der Tilgung getroffen, die er in seiner
Rechtsbehelfsbelehrung erneut als anfechtbar mit der Klage zum SG
angesehen hat. Insofern hat der Senat den Tenor des erstinstanzlichen
Urteils klarstellend gefasst.
12
Die angefochtene Verfügung des Beklagten war aufzuheben und dieser zur
Auszahlung der einbehaltenen Beträge zu verurteilen. Die vorgenommene
Tilgung ist rechtswidrig, weil ein Rechtsgrund hierfür zumindest in dem
hier streitigen Zeitraum vom 1.3.2008 bis 31.8.2008 nicht vorhanden ist.
Der Beklagte kann sich weder auf die Regelungen zur Aufrechnung nach § 51 SGB I noch auf eine analoge Anwendung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II berufen. Auch aus der von ihm erwirkten Erklärung des
Klägers vom 25.2.2008 ergibt sich keine Berechtigung zur Tilgung des
Mietkautionsdarlehens durch Kürzung der laufenden Regelleistung.
13
2. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 51 SGB I nicht vorliegen. Nach § 51
Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf
Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit
die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I pfändbar sind. § 54
Abs 4 SGB I bestimmt, dass Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie
Arbeitseinkommen gepfändet werden. Insofern ist das LSG zu Recht davon
ausgegangen, dass es schon unter Berücksichtigung der Höhe der gesamten
SGB II-Leistungen des Klägers im streitigen Zeitraum und des
unpfändbaren Arbeitseinkommens nach § 850c Abs 1 S 1 ZPO an einer Pfändbarkeit unter Beachtung der für Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff ZPO geltenden Bestimmungen fehlt.
14
3. Auf die Tilgungsregelung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II kann der Beklagte sich gleichfalls nicht stützen. Nach
dieser Vorschrift wird das Darlehen durch monatliche Aufrechnung in
Höhe von bis zu 10 vH der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die
mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu
zahlenden Regelleistung getilgt. Diese Tilgungsregelung bezieht sich
ausdrücklich nur auf Darlehen nach § 23
Abs 1 S 1 SGB II, die erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den
Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf
zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12
Abs 2 Nr 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann.
Mietkautionsdarlehen werden von dieser Vorschrift schon nach ihrem
Wortlaut nicht erfasst.
15
Auch eine analoge Anwendung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II auf den vorliegenden Sachverhalt ist nicht möglich,
weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Ob eine planwidrige
Regelungslücke innerhalb des Regelungszusammenhangs eines Gesetzes - im
Sinne des Fehlens rechtlicher Regelungen dort, wo sie für bestimmte
Sachverhalte erwartet werden - anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend
von den gesetzlichen Regelungen selbst, den ihr zugrunde liegenden
Regelungsabsichten, den verfolgten Zwecken und Wertungen, auch gemessen
am Maßstab der gesamten Rechtsordnung (vgl zB BSG Urteil vom 18.1.2011 -
B 4 AS 108/10 R - BSGE 107, 217 ff = SozR 4-4200 § 26 Nr 1, RdNr 24 mwN). § 22
Abs 3 SGB II in seiner bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung sieht ua
vor, dass eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort
der neuen Unterkunft zuständigen Träger übernommen werden kann. Mit der
Anfügung des S 3 in § 22
Abs 3 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buchs
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 558) hat der
Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass Leistungen für Mietkautionen
als Darlehen erbracht werden, ohne gleichzeitig eine Tilgungsregelung
aufzunehmen. Aus dem Gesamtzusammenhang mit den weiteren
Darlehensregelungen im SGB II nach der Rechtslage bis zum 31.3.2011
ergibt sich, dass die Tilgung einer den Kosten der Unterkunft und
Heizung zuzuordnenden Leistung aus der laufenden Regelleistung nicht
erfolgen konnte. Dies folgt insbesondere aus dem Umstand, dass zum
Zeitpunkt der Einfügung des § 22 Abs 3 S 3 SGB II in § 23 Abs 1 SGB II bereits eine Tilgungsregelung enthalten war, ohne dass § 22 Abs 3 S 3 SGB II auf diese Vorschrift verweist oder deren entsprechende Anwendung angeordnet hat.
16
Da der Tilgungsregelung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II und einer analogen Anwendung auf Darlehen für
Mietkautionen andere Tatbestände zugrunde liegen, kann auch nicht von
einem unbewussten Unterlassen des Gesetzgebers ausgegangen werden, der
die Gerichte zu einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung berechtigen
würde (vgl BSG Urteil vom 25.8.2011 - B 11 AL 30/10 R
- jurisRdNr 19 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Insofern
ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit der Tilgung eines Darlehens
für unabweisbare Bedarfe des laufenden Lebensunterhalts nach § 23
Abs 1 S 3 SGB II vor dem Hintergrund erfolgt ist, dass in der
pauschalierten Regelleistung seit der Neuordnung der Leistungen zur
Deckung des Existenzminimums auch einmalige Bedarfe enthalten sind.
Wegen ihrer Höhe können diese einmaligen Bedarfe nicht aus der
jeweiligen monatlichen Regelleistung, sondern nur aus dem laufend
anzusparenden und nach § 12
Abs 2 S 1 Nr 4 SGB II geschützten Freibetrag für notwendige
Anschaffungen erfolgen (vgl zB Behrend in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, §
23 RdNr 24). Nur vor diesem Hintergrund enthält § 23 Abs 1 S 3 SGB II - als Ausnahmeregelung - ein über § 51
SGB I hinausgehendes Aufrechnungsrecht des Sozialleistungsträgers, das
sich ausschließlich auf eine Darlehenstilgung bei den Regelbedarfen
bezieht und seine Rechtfertigung in der "Vorfinanzierung" einmaliger
Bedarfe bei (noch) fehlendem Ansparbetrag findet. Die von dem
Grundsicherungsträger darlehensweise übernommene Mietkaution wird dem
Leistungsberechtigten aber erst nach Beendigung des Mietverhältnisses
von dem Vermieter erstattet. Er hat keine Möglichkeit, hierüber zu
verfügen und auftretende Bedarfe zu decken. Eine Rechtfertigung für eine
vor diesem Zeitpunkt einsetzende Rückzahlungspflicht des
Leistungsberechtigten gegenüber dem SGB II-Träger ist daher nicht
erkennbar (vgl bereits zur Sozialhilfe: OVG Lüneburg Beschluss vom
27.3.2003 - 12 ME 52/03, FEVS 54, 526 ff, 528). Die mit Wirkung zum 1.4.2011 eingefügte Neuregelung des § 42a
Abs 2 SGB II, wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen (ua für
Mietkautionen) ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch
monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs
getilgt werden, stellt vor diesem Hintergrund eine echte Rechtsänderung
dar (ungenau ist die Gesetzesbegründung in BT-Drucks 17/3404 S 51, 116,
wenn dort - für die auch erfasste Tilgung von Mietkautionsdarlehen, also
für sämtliche Darlehensarten - darauf abgestellt wird, dass - bisher
nur für einmalige Bedarfe des Lebensunterhalts - geschütztes Vermögen
dem Hilfebedürftigen ja gerade belassen werde, um besondere Bedarfe zu
decken und notwendige Anschaffungen zu tätigen).
17
Zudem ist die Regelung des § 23 Abs 3 SGB II eng auszulegen, weil das verfassungsrechtliche Existenzminimum nach Art 1 iVm Art 20 Abs 1 GG betroffen ist. Der vom BVerfG in seinem Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09
- juris RdNr 136) betonte Grundsatz, dass die Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums durch einen gesetzlichen Anspruch
gesichert sein muss, betrifft - als Kehrseite der Anspruchsgewährung -
auch den Eingriff in das gesetzlich geregelte Existenzminimum, wie sich
auch weiteren Regelungen des SGB II, etwa § 31 SGB II, entnehmen lässt. Eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II auf andere Darlehen als solche nach § 23
Abs 1 S 1 SGB II beinhaltet die Gefahr einer Bedarfsunterdeckung bei
den laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die
zumindest einer gesetzlichen Regelung bedarf.
18
4. Der Beklagte kann sich bei der Tilgung des Mietkautionsdarlehens
durch Einbehaltung von 10 vH der Regelleistung auch nicht auf die von
ihm veranlasste und formulierte "Abtretungserklärung" berufen. Selbst
wenn man in dieser Erklärung einen Verzicht auf den streitigen Teil der
Regelleistung sehen würde (vgl auch zur Auslegung von "typischen
Erklärungen" im Kindergeldrecht durch das Revisionsgericht: BSGE 63, 167
ff = SozR 1500 § 54 Nr 85; BSGE 76, 203 ff = SozR 3-5870 § 10 Nr 7), wäre dieser unwirksam.
19
Gemäß § 46
Abs 1 SGB I kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch schriftliche
Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden; der Verzicht
kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Bei
Annahme einer Verzichtserklärung wäre deren Widerruf - insofern fehlen
weitergehende Feststellungen des LSG - ggf bereits in dem Inhalt des vom
LSG in Bezug genommenen Widerspruchs vom 8.4.2008 zu sehen. Hierin hat
der Kläger darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für
das ihm "zumindest als verbindlich dargelegte" Einverständnis mit der
Tilgung nicht vorlägen und die "Rückzahlungsvereinbarung" ausdrücklich
angefochten. Der Senat kann weiter offenlassen, ob ein in der Erklärung
vom 25.2.2008 ggf zu sehender Verzicht wegen Anfechtung (§§ 119 ff BGB, § 123 BGB) von Anfang an unwirksam wäre (§ 142 BGB), weil ein Verzicht auf Teile der Regelleistung in der hier von dem Beklagten veranlassten Form jedenfalls unwirksam wäre.
20
Nach § 46
Abs 2 SGB I ist der Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen
unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger
belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Eine ausdrückliche
Bestimmung dazu, wann eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt,
existiert nicht (Gitter in: Bochumer Kommentar zum SGB, Allgemeiner
Teil, 1979, § 46 RdNr 14). Den Gesetzesmaterialien zu § 46 SGB I ist - für die ersten beiden Alternativen des § 46 Abs 2 SGB I - lediglich zu entnehmen, dass § 46
Abs 2 SGB I "insbesondere" verhindern will, dass durch einen Verzicht
auf Sozialleistungen Unterhaltsverpflichtete und Leistungsträger stärker
als gesetzlich vorgesehen belastet werden (BT-Drucks 7/868 S 31). Zur
Unwirksamkeit eines Verzichts durch Umgehung von Rechtsvorschriften
finden sich keine Ausführungen. Gleichzeitig wird deutlich, dass weitere
Umstände ("insbesondere") eine Unwirksamkeit des Verzichts begründen
können. Ob eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt, ist anhand des
Sinns und Zwecks der das konkrete Sozialrechtsverhältnis zwischen
Leistungsberechtigten und Sozialleistungsträger prägenden
Rechtsvorschriften zu beurteilen. Hierbei ist zu prüfen, ob mit diesen
Rechtsvorschriften (auch) ein objektiver Rechtswert verfolgt wird, der
durch einen Verzicht tangiert würde (Lilge in SGB I, 3. Aufl 2012, § 46
SGB I RdNr 32; Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2012, § 46 RdNr 17).
Abzustellen ist darauf, ob durch den Verzicht die Systematik der
rechtlichen Regelungen (vgl Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 46
SGB I RdNr 18, Stand Mai 2007) und die ihnen zugrunde liegenden
Wertentscheidungen des Gesetzgebers beeinträchtigt würden (vgl zum nicht
wirksamen Verzicht auf eine Befreiung von der Versicherungspflicht BSGE
34, 277, 278 und auf Berechnungselemente der
Rentenversicherungsgesetze: BSG Urteil vom 8.3.1979 - 12 RK 32/78 -
juris RdNr 15). Dies ist hier der Fall.
21
Es handelt sich um den Versuch des Grundsicherungsträgers, unter Absehen
von den speziellen Voraussetzungen und Grenzen des SGB I und des SGB II
das grundsätzliche Verbot der Aufrechnung bzw Einbehaltung von
existenzsichernden Leistungen zu umgehen (vgl zur Unwirksamkeit eines
"erwirkten Verzichts" durch den Sozialhilfeträger: Krahmer in LPK-SGB I,
2. Aufl 2007, § 46 SGB I RdNr 12). Nach den nicht mit zulässigen und
begründeten Revisionsrügen angegriffenen und damit für den Senat
bindenden Feststellungen des LSG (§ 163
SGG) hat der Beklagte die Mietkaution hier nur unter der Voraussetzung
bewilligt, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der Erklärung vom
25.2.2008 verpflichtet und die Abgabe der Erklärung selbst veranlasst.
Wie oben bereits dargelegt, ergibt sich jedoch weder aus der
Aufrechnungsregelung des § 51 SGB I noch aus einer analogen Anwendung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II eine Berechtigung des Beklagten zur Einbehaltung von
Teilen der Regelleistung zur Rückzahlung eines Mietkautionsdarlehens.
Mit diesem Verzicht würden daher die für den streitigen Zeitraum
geltenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des
Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
unterlaufen.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=153431
http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2012/07/arbeitslosengeld-ii-unterkunft-und.html
Willi S
Kein Einbehalt von Tilgungsraten für Mietkaution.
Nach
§ 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche
auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen,
soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I
pfändbar sind. § 54 Abs 4 SGB I bestimmt, dass Ansprüche auf laufende
Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.
Insofern
ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass es schon unter
Berücksichtigung der Höhe der gesamten SGB II-Leistungen des Klägers im
streitigen Zeitraum und des unpfändbaren Arbeitseinkommens nach § 850c
Abs 1 S 1 ZPO an einer Pfändbarkeit unter Beachtung der für
Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff ZPO geltenden Bestimmungen fehlt.
Auf
die Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II kann der Beklagte sich
gleichfalls nicht stützen. Nach dieser Vorschrift wird das Darlehen
durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vH der an den
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft
lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt.
Diese
Tilgungsregelung bezieht sich ausdrücklich nur auf Darlehen nach § 23
Abs 1 S 1 SGB II, die erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den
Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf
zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12
Abs 2 Nr 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann.
Mietkautionsdarlehen werden von dieser Vorschrift schon nach ihrem
Wortlaut nicht erfasst.
Auch
eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II auf den vorliegenden
Sachverhalt ist nicht möglich, weil es an einer planwidrigen
Regelungslücke fehlt. Ob eine planwidrige Regelungslücke innerhalb des
Regelungszusammenhangs eines Gesetzes - im Sinne des Fehlens rechtlicher
Regelungen dort, wo sie für bestimmte Sachverhalte erwartet werden -
anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend von den gesetzlichen Regelungen
selbst, den ihr zugrunde liegenden Regelungsabsichten, den verfolgten
Zwecken und Wertungen, auch gemessen am Maßstab der gesamten
Rechtsordnung (vgl zB BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 108/10 R - BSGE
107, 217 ff = SozR 4-4200 § 26 Nr 1, RdNr 24 mwN).
§
22 Abs 3 SGB II in seiner bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung sieht ua
vor, dass eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort
der neuen Unterkunft zuständigen Träger übernommen werden kann.
Mit
der Anfügung des S 3 in § 22 Abs 3 SGB II durch das Gesetz zur Änderung
des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006
(BGBl I 558) hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass
Leistungen für Mietkautionen als Darlehen erbracht werden, ohne
gleichzeitig eine Tilgungsregelung aufzunehmen. Aus dem
Gesamtzusammenhang mit den weiteren Darlehensregelungen im SGB II nach
der Rechtslage bis zum 31.3.2011 ergibt sich, dass die Tilgung einer den
Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnenden Leistung aus der
laufenden Regelleistung nicht erfolgen konnte.
Dies
folgt insbesondere aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der Einfügung
des § 22 Abs 3 S 3 SGB II in § 23 Abs 1 SGB II bereits eine
Tilgungsregelung enthalten war, ohne dass § 22 Abs 3 S 3 SGB II auf
diese Vorschrift verweist oder deren entsprechende Anwendung angeordnet
hat.
Da der Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II und
einer analogen Anwendung auf Darlehen für Mietkautionen andere
Tatbestände zugrunde liegen, kann auch nicht von einem unbewussten
Unterlassen des Gesetzgebers ausgegangen werden, der die Gerichte zu
einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung berechtigen würde (vgl BSG
Urteil vom 25.8.2011 - B 11 AL 30/10 R - jurisRdNr 19 f, zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Insofern
ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit der Tilgung eines
Darlehens für unabweisbare Bedarfe des laufenden Lebensunterhalts nach §
23 Abs 1 S 3 SGB II vor dem Hintergrund erfolgt ist, dass in der
pauschalierten Regelleistung seit der Neuordnung der Leistungen zur
Deckung des Existenzminimums auch einmalige Bedarfe enthalten sind.
Wegen
ihrer Höhe können diese einmaligen Bedarfe nicht aus der jeweiligen
monatlichen Regelleistung, sondern nur aus dem laufend anzusparenden und
nach § 12 Abs 2 S 1 Nr 4 SGB II geschützten Freibetrag für notwendige
Anschaffungen erfolgen (vgl zB Behrend in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, §
23 RdNr 24). Nur vor diesem Hintergrund enthält § 23 Abs 1 S 3 SGB II -
als Ausnahmeregelung - ein über § 51 SGB I hinausgehendes
Aufrechnungsrecht des Sozialleistungsträgers, das sich ausschließlich
auf eine Darlehenstilgung bei den Regelbedarfen bezieht und seine
Rechtfertigung in der "Vorfinanzierung" einmaliger Bedarfe bei (noch)
fehlendem Ansparbetrag findet.
Die
von dem Grundsicherungsträger darlehensweise übernommene Mietkaution
wird dem Leistungsberechtigten aber erst nach Beendigung des
Mietverhältnisses von dem Vermieter erstattet. Er hat keine Möglichkeit,
hierüber zu verfügen und auftretende Bedarfe zu decken. Eine
Rechtfertigung für eine vor diesem Zeitpunkt einsetzende
Rückzahlungspflicht des Leistungsberechtigten gegenüber dem SGB
II-Träger ist daher nicht erkennbar (vgl bereits zur Sozialhilfe: OVG
Lüneburg Beschluss vom 27.3.2003 - 12 ME 52/03, FEVS 54, 526 ff, 528).
Die
mit Wirkung zum 1.4.2011 eingefügte Neuregelung des § 42a Abs 2 SGB II,
wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen (ua für Mietkautionen) ab dem
Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in
Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt werden, stellt vor
diesem Hintergrund eine echte Rechtsänderung dar (ungenau ist die
Gesetzesbegründung in BT-Drucks 17/3404 S 51, 116, wenn dort - für die
auch erfasste Tilgung von Mietkautionsdarlehen, also für sämtliche
Darlehensarten - darauf abgestellt wird, dass - bisher nur für einmalige
Bedarfe des Lebensunterhalts - geschütztes Vermögen dem
Hilfebedürftigen ja gerade belassen werde, um besondere Bedarfe zu
decken und notwendige Anschaffungen zu tätigen).
Zudem
ist die Regelung des § 23 Abs 3 SGB II eng auszulegen, weil das
verfassungsrechtliche Existenzminimum nach Art 1 iVm Art 20 Abs 1 GG
betroffen ist. Der vom BVerfG in seinem Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09,
1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris RdNr 136) betonte Grundsatz, dass die
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch einen
gesetzlichen Anspruch gesichert sein muss, betrifft - als Kehrseite der
Anspruchsgewährung - auch den Eingriff in das gesetzlich geregelte
Existenzminimum, wie sich auch weiteren Regelungen des SGB II, etwa § 31
SGB II, entnehmen lässt. Eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB
II auf andere Darlehen als solche nach § 23 Abs 1 S 1 SGB II beinhaltet
die Gefahr einer Bedarfsunterdeckung bei den laufenden Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts, die zumindest einer gesetzlichen
Regelung bedarf.
Der
Beklagte kann sich bei der Tilgung des Mietkautionsdarlehens durch
Einbehaltung von 10 vH der Regelleistung auch nicht auf die von ihm
veranlasste und formulierte "Abtretungserklärung" berufen. Selbst wenn
man in dieser Erklärung einen Verzicht auf den streitigen Teil der
Regelleistung sehen würde (vgl auch zur Auslegung von "typischen
Erklärungen" im Kindergeldrecht durch das Revisionsgericht: BSGE 63, 167
ff = SozR 1500 § 54 Nr 85; BSGE 76, 203 ff = SozR 3-5870 § 10 Nr 7),
wäre dieser unwirksam.
Gemäß
§ 46 Abs 1 SGB I kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch
schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden;
der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen
werden. Bei Annahme einer Verzichtserklärung wäre deren Widerruf -
insofern fehlen weitergehende Feststellungen des LSG - ggf bereits in
dem Inhalt des vom LSG in Bezug genommenen Widerspruchs vom 8.4.2008 zu
sehen. Hierin hat der Kläger darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen
Voraussetzungen für das ihm "zumindest als verbindlich dargelegte"
Einverständnis mit der Tilgung nicht vorlägen und die
"Rückzahlungsvereinbarung" ausdrücklich angefochten. Der Senat kann
weiter offenlassen, ob ein in der Erklärung vom 25.2.2008 ggf zu
sehender Verzicht wegen Anfechtung (§§ 119 ff BGB, § 123 BGB) von Anfang
an unwirksam wäre (§ 142 BGB), weil ein Verzicht auf Teile der
Regelleistung in der hier von dem Beklagten veranlassten Form jedenfalls
unwirksam wäre.
Nach
§ 46 Abs 2 SGB I ist der Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen
unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger
belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Eine ausdrückliche
Bestimmung dazu, wann eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt,
existiert nicht (Gitter in: Bochumer Kommentar zum SGB, Allgemeiner
Teil, 1979, § 46 RdNr 14). Den Gesetzesmaterialien zu § 46 SGB I ist -
für die ersten beiden Alternativen des § 46 Abs 2 SGB I - lediglich zu
entnehmen, dass § 46 Abs 2 SGB I "insbesondere" verhindern will, dass
durch einen Verzicht auf Sozialleistungen Unterhaltsverpflichtete und
Leistungsträger stärker als gesetzlich vorgesehen belastet werden
(BT-Drucks 7/868 S 31).
Zur
Unwirksamkeit eines Verzichts durch Umgehung von Rechtsvorschriften
finden sich keine Ausführungen. Gleichzeitig wird deutlich, dass weitere
Umstände ("insbesondere") eine Unwirksamkeit des Verzichts begründen
können. Ob eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt, ist anhand des
Sinns und Zwecks der das konkrete Sozialrechtsverhältnis zwischen
Leistungsberechtigten und Sozialleistungsträger prägenden
Rechtsvorschriften zu beurteilen. Hierbei ist zu prüfen, ob mit diesen
Rechtsvorschriften (auch) ein objektiver Rechtswert verfolgt wird, der
durch einen Verzicht tangiert würde (Lilge in SGB I, 3. Aufl 2012, § 46
SGB I RdNr 32; Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2012, § 46 RdNr 17).
Abzustellen ist darauf, ob durch den Verzicht die Systematik der
rechtlichen Regelungen (vgl Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 46 SGB I RdNr
18, Stand Mai 2007) und die ihnen zugrunde liegenden Wertentscheidungen
des Gesetzgebers beeinträchtigt würden (vgl zum nicht wirksamen Verzicht
auf eine Befreiung von der Versicherungspflicht BSGE 34, 277, 278 und
auf Berechnungselemente der Rentenversicherungsgesetze: BSG Urteil vom
8.3.1979 - 12 RK 32/78 - juris RdNr 15).
Dies ist hier der Fall.
Es
handelt sich um den Versuch des Grundsicherungsträgers, unter Absehen
von den speziellen Voraussetzungen und Grenzen des SGB I und des SGB II
das grundsätzliche Verbot der Aufrechnung bzw Einbehaltung von
existenzsichernden Leistungen zu umgehen (vgl zur Unwirksamkeit eines
"erwirkten Verzichts" durch den Sozialhilfeträger: Krahmer in LPK-SGB I,
2. Aufl 2007, § 46 SGB I RdNr 12).
Nach
den nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen
und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat
der Beklagte die Mietkaution hier nur unter der Voraussetzung
bewilligt, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der Erklärung vom
25.2.2008 verpflichtet und die Abgabe der Erklärung selbst veranlasst.
Wie oben bereits dargelegt, ergibt sich jedoch weder aus der
Aufrechnungsregelung des § 51 SGB I noch aus einer analogen Anwendung
des § 23 Abs 1 S 3 SGB II eine Berechtigung des Beklagten zur
Einbehaltung von Teilen der Regelleistung zur Rückzahlung eines
Mietkautionsdarlehens. Mit diesem Verzicht würden daher die für den
streitigen Zeitraum geltenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur
Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums unterlaufen.
BRD · Bundessozialgericht4. Senat
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25.11.2009 3. InstanzBundessozialgericht B 4 AS 26/10 R 22.03.2012
SachgebietGrundsicherung für Arbeitsuchende EntscheidungDie Revision
des
Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 25. November 2009 wird zurückgewiesen. Der
Tenor des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar
2009 wird klarstellend wie folgt gefasst: Der Beklagte wird unter
Abänderung der Bescheide vom 4. März 2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 17. April 2008 verurteilt, dem Kläger für den
Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 SGB II-Leistungen in der
im Bewilligungsbescheid vom 4. März 2008 genannten Höhe ohne Tilgung zu
leisten. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers
auch für das Revisionsverfahren.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist,
Tilgungsraten für ein Mietkautionsdarlehen von laufenden Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 1.3.2008 bis 31.8.2008
einzubehalten.
2
Der laufend SGB II-Leistungen beziehende Kläger teilte dem Beklagten am
25.2.2008 seinen Umzug zum 1.3.2008 in eine am 22.2.2008 angemietete
Wohnung mit. Er beantragte die Übernahme einer Mietkaution für die neue
Wohnung in Höhe von 639 Euro als rückzahlbares Darlehen und
unterzeichnete einen von dem Beklagten vorformulierten Vordruck, wonach
er seine Rechte aus dem Anspruch aus der Mietkaution gegenüber seinem
Vermieter an den Beklagten abtrete. Ferner heißt es in der
"Abtretungserklärung" vom 25.2.2008: "Das Darlehen ist in Anlehnung an §
23
Abs 1 SGB II durch monatliche Tilgung in Höhe von mindestens 10 % der
für die Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Regelleistung zu tilgen. Sollte
diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, wird der Gesamtbetrag
in einer Summe fällig."
3
Der Beklagte bewilligte die Mietkaution in Höhe von 639 Euro als
Darlehen und teilte mit, das Darlehen sei gemäß der unterzeichneten
Abtretungserklärung durch monatliche Raten in Höhe von 35 Euro zu
tilgen. Sollte diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, werde
der Gesamtbetrag in einer Summe fällig. Der Betrag von 35 Euro werde ab
1.3.2008 zur Tilgung des Darlehens einbehalten (Bescheid vom 4.3.2008).
Mit weiterem Bescheid vom 4.3.2008 bewilligte der Beklagte SGB
II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.3.2008 bis 31.8.2008 und behielt ab
1.3.2008 monatlich 35 Euro ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008
änderte er den Bescheid vom 4.3.2008 für die Zeit ab 1.6.2008 durch
Ermäßigung der Tilgungsrate auf 17 Euro monatlich und wies den
Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Einbehaltung von 10 %
- während des Erhalts eines Zuschlags nach § 24
SGB II - bzw 5 % der laufend gewährten Leistungen sei angemessen und
verhältnismäßig, weil der belastenden Wirkung der Einbehaltung das
Interesse des Sozialleistungsträgers an einer möglichst zeitnahen
Rückführung von Darlehen und der Grundsatz der steuersparsamen
Mittelverwendung gegenüberstünden. Würde ganz von einer Einbehaltung
abgesehen, käme dies in einigen Fällen der Bewilligung einer Mietkaution
als Zuschuss gleich, weil der Leistungsträger zwar durch die Abtretung
einen Anspruch gegen den Vermieter auf Auszahlung der Mietkaution bei
Beendigung des Mietverhältnisses habe, er sich aber auch etwaige
Ansprüche des Vermieters aus dem privatrechtlichen Schuldverhältnis
zwischen Vermieter und Mieter entgegenhalten lassen müsse, die teilweise
zum Erlöschen des Auszahlungsanspruchs führten. Der Mieter habe es in
der Hand, ob die Mietkaution wieder an ihn ausgezahlt werde oder nicht.
4
Das SG hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, die mit
Bewilligungsbescheid vom 4.3.2008 für den Zeitraum 1.3.2008 bis
31.8.2008 zuerkannten monatlichen Leistungen ohne Einbehaltung von
Teilbeträgen zur Tilgung des Darlehens zu zahlen (Gerichtsbescheid vom
29.1.2009). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen
(Urteil vom 25.11.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG
ua ausgeführt, richtige Klageart sei die echte Leistungsklage. Einer
Aufhebung der Bescheide vom 4.3.2009 habe es nicht bedurft, weil die
angegriffenen Einbehaltungen zur Tilgung des Mietkautionsdarlehens nicht
durch Verwaltungsakt erfolgt seien. Die auf die Erklärung des Klägers
vom 25.2.2008 gestützte Entscheidung des Beklagten, Teile der laufenden
Leistungen nach dem SGB II zur Tilgung des Darlehens einzubehalten, sei
als Aufrechnung anzusehen. Die Aufrechnungserklärung sei unwirksam, weil
die gesamte Grundsicherungsleistung in Höhe von monatlich 760 Euro bis
einschließlich 30.4.2008, 746,67 Euro für Mai 2008 und 680 Euro für die
Zeit von Juni 2008 bis August 2008 unpfändbar gewesen sei und deshalb
auch keine Aufrechnung habe erklärt werden können. Auch § 23
Abs 1 S 3 SGB II gebe dem Beklagten nicht das Recht zur Aufrechnung,
weil die im Streit stehende Mietkaution keine Regelleistung im Sinne von
§ 20 SGB II sei, sondern zu den in § 22
SGB II geregelten Leistungen für Unterkunft und Heizung gehöre. Für
eine analoge Anwendung der Vorschrift fehle es an einer planwidrigen
Regelungslücke. Die Gesetzesmaterialien, der Gesamtzusammenhang der §§ 20
ff SGB II mit ihren unterschiedlichen Regelungszwecken und die bereits
unter Geltung des BSHG von der Rechtsprechung beanstandete Praxis der
örtlichen Sozialhilfeträger, Mietkautionsdarlehen ohne explizite
gesetzliche Grundlage durch regelmäßigen Einbehalt zu tilgen, sprächen
dafür, dass der Gesetzgeber von einem tilgungsfreien (und zinsfreien)
Darlehen ausgegangen sei. Der Beklagte könnte sich auch nicht auf die
Erklärung vom 25.2.2008 als Rechtsgrund für eine Aufrechnung berufen.
Ihm sei es in Anwendung des in § 242 BGB geregelten und über § 61
S 2 SGB X anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich
auf eine solche Erklärung als Rechtsgrundlage für eine Aufrechnung zu
berufen, wenn er selbst die rechtswidrige Rückzahlungsvereinbarung
veranlasst habe. Dies stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Auch
wenn man in der Tilgungsvereinbarung einen Verzicht iS des § 46
Abs 1 1. Halbs SGB I sehe, liege eine unzulässige Rechtsausübung vor,
wenn dieser vom Leistungsträger rechtswidrig herbeigeführt worden sei.
Der Beklagte habe die Mietkaution vorliegend unter der Bedingung
gewährt, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der entsprechenden
Erklärung verpflichte. Diese Tatsache stehe einer Berufung auf die
Erklärung entgegen.
5
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, der Bescheid lasse sich auf § 22 Abs 3 S 3 SGB II iVm § 23 Abs 1 S 3 SGB II stützen. § 22
Abs 3 S 3 SGB II sei zu entnehmen, dass ein Zuschuss seitens des
Gesetzgebers nicht gewollt sei. Die Norm enthalte keine Bestimmung
darüber, dass lediglich eine Sicherung in Form einer Abtretung des
Rückzahlungsanspruchs zu erfolgen habe. Da die Regelungen des SGB II den
Leistungsbezug möglichst kurz halten sollten, erscheine es für die
Leistungsverwaltung äußerst unökonomisch und praktisch kaum zu
bewältigen, beim - ggf ehemaligen - Leistungsberechtigten regelmäßig
nachzufragen, ob das Mietverhältnis gekündigt und die Mietkaution
ausgezahlt worden sei. Die konkrete Form der Darlehensgewährung stehe im
pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers. Die zum 1.4.2011 in Kraft
getretene Regelung des § 42a SGB II belege, dass in dem streitigen Zeitraum eine Regelungslücke vorgelegen habe.
6
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 25. November 2009 und den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar 2009 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
7
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
8
Er trägt vor, aus dem Willen des Gesetzgebers ergebe sich lediglich,
dass dieser keinen Zuschuss gewollt habe. Ein Darlehen werde nicht
dadurch zu einem Zuschuss, dass es nicht während des Leistungsbezugs
zwangsweise zurückgeführt werde. Die Abtretungserklärung habe er nicht
freiwillig unterschrieben, sondern sich in einer Zwangslage befunden.
Leistungsbezieher würden nicht darüber belehrt, dass die
Mietkautionsdarlehen freiwillig zurückgeführt würden und gemäß § 46 Abs 1 SGB I der Verzicht auf Sozialleistungen jederzeit widerrufen werden könne.
II
9
Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet.
10
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist zunächst der die Mietkaution
bewilligende Bescheid vom 4.3.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 17.4.2008, den der Kläger nur angefochten hat,
soweit der Beklagte einen monatlichen Betrag zur Tilgung der
Mietkaution von den laufenden SGB II-Leistungen einbehalten hat. Der am
gleichen Tag erlassene Bewilligungsbescheid vom 4.3.2008, mit dem der
Beklagte um 35 Euro monatlich gekürzte Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für den streitigen Zeitraum vom 1.3.2008 bis 31.8.2008
bewilligt hat, ist ebenfalls Gegenstand des Verfahrens, weil beide
Bescheide eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheids
zur Höhe der SGB II-Leistungen in dem streitigen Zeitraum darstellen
(vgl zB BSGE 84, 225, 227 = SozR 3-4100 § 119 Nr 17 S 78; BSGE 95, 8 ff = SozR 4-4300 § 140 Nr 1,
RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1, RdNr 5; BSG SozR 4-4200 § 31 Nr 4
mwN). Dies macht auch der Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008 in seinem
Verfügungssatz mit einem Bezug zwischen der "Tilgungsverfügung" in dem
Mietkautionsbescheid vom 4.3.2008 und dem Bewilligungsbescheid vom
4.3.2008 deutlich, wenn dort "in Abänderung des Bewilligungsbescheids
vom 4.3.2008" für die Zeit ab 1.6.2008 anstelle von 35 Euro nunmehr 17
Euro von den laufenden Leistungen zur Tilgung des Mietkautionsdarlehens
einbehalten werden.
11
Hiergegen ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die
zulässige Klageart, weil nicht nur die Bewilligung der Mietkaution,
sondern auch die Regelung zur Tilgung in dem Bescheid vom 4.3.2008 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.4.2008 ein Verwaltungsakt
ist. Entgegen der Ansicht des LSG hat der Beklagte die Einbehaltung von
Teilen der Regelleistung, die das LSG als Aufrechnung angesehen hat,
hier in der Handlungsform eines Verwaltungsaktes vorgenommen. Insofern
ist durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln, ob sich den gewählten
Formulierungen unter Berücksichtigung des maßgebenden rechtlichen
Gesichtspunktes des "Empfängerhorizonts" eines verständigen Beteiligten,
der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in
ihre Entscheidung einbezogen hat (BSGE 67, 104 ff, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11; BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R
- BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18), entnehmen lässt,
dass eine verbindliche Regelung durch Verwaltungsakt getroffen werden
sollte. Eine Befugnis, das Vorliegen und den Inhalt von Verwaltungsakten
selbstständig - und damit auch abweichend von den Vorinstanzen -
auszulegen, ergibt sich für das Revisionsgericht insbesondere, soweit es
um die Berücksichtigung der maßgebenden Umstände und die Beachtung der
gesetzlichen Auslegungsregeln geht (stRspr des BSG, vgl etwa Urteil vom
29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - RdNr 21; Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 3b mwN). Wie die Bezugnahme auf § 23
Abs 1 S 3 SGB II in der formulierten Erklärung vom 25.2.2008 zeigt,
wollte der Beklagte die Einbehaltung von Teilen der Regelleistung im
Ergebnis auf mehrere Rechtsgrundlagen, also nicht nur auf die Erklärung
des Klägers, stützen. Zudem war der Bescheid vom 4.3.2008 auch
hinsichtlich der Tilgungsentscheidung mit einer Rechtsbehelfsbelehrung
versehen. Weiter hat der Beklagte den "Bescheid vom 4.3.2008" mit dem
Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008 abgeändert und eine neue Entscheidung
hinsichtlich der Höhe der Tilgung getroffen, die er in seiner
Rechtsbehelfsbelehrung erneut als anfechtbar mit der Klage zum SG
angesehen hat. Insofern hat der Senat den Tenor des erstinstanzlichen
Urteils klarstellend gefasst.
12
Die angefochtene Verfügung des Beklagten war aufzuheben und dieser zur
Auszahlung der einbehaltenen Beträge zu verurteilen. Die vorgenommene
Tilgung ist rechtswidrig, weil ein Rechtsgrund hierfür zumindest in dem
hier streitigen Zeitraum vom 1.3.2008 bis 31.8.2008 nicht vorhanden ist.
Der Beklagte kann sich weder auf die Regelungen zur Aufrechnung nach § 51 SGB I noch auf eine analoge Anwendung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II berufen. Auch aus der von ihm erwirkten Erklärung des
Klägers vom 25.2.2008 ergibt sich keine Berechtigung zur Tilgung des
Mietkautionsdarlehens durch Kürzung der laufenden Regelleistung.
13
2. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 51 SGB I nicht vorliegen. Nach § 51
Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf
Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit
die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I pfändbar sind. § 54
Abs 4 SGB I bestimmt, dass Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie
Arbeitseinkommen gepfändet werden. Insofern ist das LSG zu Recht davon
ausgegangen, dass es schon unter Berücksichtigung der Höhe der gesamten
SGB II-Leistungen des Klägers im streitigen Zeitraum und des
unpfändbaren Arbeitseinkommens nach § 850c Abs 1 S 1 ZPO an einer Pfändbarkeit unter Beachtung der für Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff ZPO geltenden Bestimmungen fehlt.
14
3. Auf die Tilgungsregelung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II kann der Beklagte sich gleichfalls nicht stützen. Nach
dieser Vorschrift wird das Darlehen durch monatliche Aufrechnung in
Höhe von bis zu 10 vH der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die
mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu
zahlenden Regelleistung getilgt. Diese Tilgungsregelung bezieht sich
ausdrücklich nur auf Darlehen nach § 23
Abs 1 S 1 SGB II, die erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den
Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf
zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12
Abs 2 Nr 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann.
Mietkautionsdarlehen werden von dieser Vorschrift schon nach ihrem
Wortlaut nicht erfasst.
15
Auch eine analoge Anwendung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II auf den vorliegenden Sachverhalt ist nicht möglich,
weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Ob eine planwidrige
Regelungslücke innerhalb des Regelungszusammenhangs eines Gesetzes - im
Sinne des Fehlens rechtlicher Regelungen dort, wo sie für bestimmte
Sachverhalte erwartet werden - anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend
von den gesetzlichen Regelungen selbst, den ihr zugrunde liegenden
Regelungsabsichten, den verfolgten Zwecken und Wertungen, auch gemessen
am Maßstab der gesamten Rechtsordnung (vgl zB BSG Urteil vom 18.1.2011 -
B 4 AS 108/10 R - BSGE 107, 217 ff = SozR 4-4200 § 26 Nr 1, RdNr 24 mwN). § 22
Abs 3 SGB II in seiner bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung sieht ua
vor, dass eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort
der neuen Unterkunft zuständigen Träger übernommen werden kann. Mit der
Anfügung des S 3 in § 22
Abs 3 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buchs
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 558) hat der
Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass Leistungen für Mietkautionen
als Darlehen erbracht werden, ohne gleichzeitig eine Tilgungsregelung
aufzunehmen. Aus dem Gesamtzusammenhang mit den weiteren
Darlehensregelungen im SGB II nach der Rechtslage bis zum 31.3.2011
ergibt sich, dass die Tilgung einer den Kosten der Unterkunft und
Heizung zuzuordnenden Leistung aus der laufenden Regelleistung nicht
erfolgen konnte. Dies folgt insbesondere aus dem Umstand, dass zum
Zeitpunkt der Einfügung des § 22 Abs 3 S 3 SGB II in § 23 Abs 1 SGB II bereits eine Tilgungsregelung enthalten war, ohne dass § 22 Abs 3 S 3 SGB II auf diese Vorschrift verweist oder deren entsprechende Anwendung angeordnet hat.
16
Da der Tilgungsregelung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II und einer analogen Anwendung auf Darlehen für
Mietkautionen andere Tatbestände zugrunde liegen, kann auch nicht von
einem unbewussten Unterlassen des Gesetzgebers ausgegangen werden, der
die Gerichte zu einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung berechtigen
würde (vgl BSG Urteil vom 25.8.2011 - B 11 AL 30/10 R
- jurisRdNr 19 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Insofern
ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit der Tilgung eines Darlehens
für unabweisbare Bedarfe des laufenden Lebensunterhalts nach § 23
Abs 1 S 3 SGB II vor dem Hintergrund erfolgt ist, dass in der
pauschalierten Regelleistung seit der Neuordnung der Leistungen zur
Deckung des Existenzminimums auch einmalige Bedarfe enthalten sind.
Wegen ihrer Höhe können diese einmaligen Bedarfe nicht aus der
jeweiligen monatlichen Regelleistung, sondern nur aus dem laufend
anzusparenden und nach § 12
Abs 2 S 1 Nr 4 SGB II geschützten Freibetrag für notwendige
Anschaffungen erfolgen (vgl zB Behrend in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, §
23 RdNr 24). Nur vor diesem Hintergrund enthält § 23 Abs 1 S 3 SGB II - als Ausnahmeregelung - ein über § 51
SGB I hinausgehendes Aufrechnungsrecht des Sozialleistungsträgers, das
sich ausschließlich auf eine Darlehenstilgung bei den Regelbedarfen
bezieht und seine Rechtfertigung in der "Vorfinanzierung" einmaliger
Bedarfe bei (noch) fehlendem Ansparbetrag findet. Die von dem
Grundsicherungsträger darlehensweise übernommene Mietkaution wird dem
Leistungsberechtigten aber erst nach Beendigung des Mietverhältnisses
von dem Vermieter erstattet. Er hat keine Möglichkeit, hierüber zu
verfügen und auftretende Bedarfe zu decken. Eine Rechtfertigung für eine
vor diesem Zeitpunkt einsetzende Rückzahlungspflicht des
Leistungsberechtigten gegenüber dem SGB II-Träger ist daher nicht
erkennbar (vgl bereits zur Sozialhilfe: OVG Lüneburg Beschluss vom
27.3.2003 - 12 ME 52/03, FEVS 54, 526 ff, 528). Die mit Wirkung zum 1.4.2011 eingefügte Neuregelung des § 42a
Abs 2 SGB II, wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen (ua für
Mietkautionen) ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch
monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs
getilgt werden, stellt vor diesem Hintergrund eine echte Rechtsänderung
dar (ungenau ist die Gesetzesbegründung in BT-Drucks 17/3404 S 51, 116,
wenn dort - für die auch erfasste Tilgung von Mietkautionsdarlehen, also
für sämtliche Darlehensarten - darauf abgestellt wird, dass - bisher
nur für einmalige Bedarfe des Lebensunterhalts - geschütztes Vermögen
dem Hilfebedürftigen ja gerade belassen werde, um besondere Bedarfe zu
decken und notwendige Anschaffungen zu tätigen).
17
Zudem ist die Regelung des § 23 Abs 3 SGB II eng auszulegen, weil das verfassungsrechtliche Existenzminimum nach Art 1 iVm Art 20 Abs 1 GG betroffen ist. Der vom BVerfG in seinem Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09
- juris RdNr 136) betonte Grundsatz, dass die Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums durch einen gesetzlichen Anspruch
gesichert sein muss, betrifft - als Kehrseite der Anspruchsgewährung -
auch den Eingriff in das gesetzlich geregelte Existenzminimum, wie sich
auch weiteren Regelungen des SGB II, etwa § 31 SGB II, entnehmen lässt. Eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II auf andere Darlehen als solche nach § 23
Abs 1 S 1 SGB II beinhaltet die Gefahr einer Bedarfsunterdeckung bei
den laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die
zumindest einer gesetzlichen Regelung bedarf.
18
4. Der Beklagte kann sich bei der Tilgung des Mietkautionsdarlehens
durch Einbehaltung von 10 vH der Regelleistung auch nicht auf die von
ihm veranlasste und formulierte "Abtretungserklärung" berufen. Selbst
wenn man in dieser Erklärung einen Verzicht auf den streitigen Teil der
Regelleistung sehen würde (vgl auch zur Auslegung von "typischen
Erklärungen" im Kindergeldrecht durch das Revisionsgericht: BSGE 63, 167
ff = SozR 1500 § 54 Nr 85; BSGE 76, 203 ff = SozR 3-5870 § 10 Nr 7), wäre dieser unwirksam.
19
Gemäß § 46
Abs 1 SGB I kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch schriftliche
Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden; der Verzicht
kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Bei
Annahme einer Verzichtserklärung wäre deren Widerruf - insofern fehlen
weitergehende Feststellungen des LSG - ggf bereits in dem Inhalt des vom
LSG in Bezug genommenen Widerspruchs vom 8.4.2008 zu sehen. Hierin hat
der Kläger darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für
das ihm "zumindest als verbindlich dargelegte" Einverständnis mit der
Tilgung nicht vorlägen und die "Rückzahlungsvereinbarung" ausdrücklich
angefochten. Der Senat kann weiter offenlassen, ob ein in der Erklärung
vom 25.2.2008 ggf zu sehender Verzicht wegen Anfechtung (§§ 119 ff BGB, § 123 BGB) von Anfang an unwirksam wäre (§ 142 BGB), weil ein Verzicht auf Teile der Regelleistung in der hier von dem Beklagten veranlassten Form jedenfalls unwirksam wäre.
20
Nach § 46
Abs 2 SGB I ist der Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen
unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger
belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Eine ausdrückliche
Bestimmung dazu, wann eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt,
existiert nicht (Gitter in: Bochumer Kommentar zum SGB, Allgemeiner
Teil, 1979, § 46 RdNr 14). Den Gesetzesmaterialien zu § 46 SGB I ist - für die ersten beiden Alternativen des § 46 Abs 2 SGB I - lediglich zu entnehmen, dass § 46
Abs 2 SGB I "insbesondere" verhindern will, dass durch einen Verzicht
auf Sozialleistungen Unterhaltsverpflichtete und Leistungsträger stärker
als gesetzlich vorgesehen belastet werden (BT-Drucks 7/868 S 31). Zur
Unwirksamkeit eines Verzichts durch Umgehung von Rechtsvorschriften
finden sich keine Ausführungen. Gleichzeitig wird deutlich, dass weitere
Umstände ("insbesondere") eine Unwirksamkeit des Verzichts begründen
können. Ob eine Umgehung von Rechtsvorschriften vorliegt, ist anhand des
Sinns und Zwecks der das konkrete Sozialrechtsverhältnis zwischen
Leistungsberechtigten und Sozialleistungsträger prägenden
Rechtsvorschriften zu beurteilen. Hierbei ist zu prüfen, ob mit diesen
Rechtsvorschriften (auch) ein objektiver Rechtswert verfolgt wird, der
durch einen Verzicht tangiert würde (Lilge in SGB I, 3. Aufl 2012, § 46
SGB I RdNr 32; Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2012, § 46 RdNr 17).
Abzustellen ist darauf, ob durch den Verzicht die Systematik der
rechtlichen Regelungen (vgl Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 46
SGB I RdNr 18, Stand Mai 2007) und die ihnen zugrunde liegenden
Wertentscheidungen des Gesetzgebers beeinträchtigt würden (vgl zum nicht
wirksamen Verzicht auf eine Befreiung von der Versicherungspflicht BSGE
34, 277, 278 und auf Berechnungselemente der
Rentenversicherungsgesetze: BSG Urteil vom 8.3.1979 - 12 RK 32/78 -
juris RdNr 15). Dies ist hier der Fall.
21
Es handelt sich um den Versuch des Grundsicherungsträgers, unter Absehen
von den speziellen Voraussetzungen und Grenzen des SGB I und des SGB II
das grundsätzliche Verbot der Aufrechnung bzw Einbehaltung von
existenzsichernden Leistungen zu umgehen (vgl zur Unwirksamkeit eines
"erwirkten Verzichts" durch den Sozialhilfeträger: Krahmer in LPK-SGB I,
2. Aufl 2007, § 46 SGB I RdNr 12). Nach den nicht mit zulässigen und
begründeten Revisionsrügen angegriffenen und damit für den Senat
bindenden Feststellungen des LSG (§ 163
SGG) hat der Beklagte die Mietkaution hier nur unter der Voraussetzung
bewilligt, dass sich der Kläger zur Unterzeichnung der Erklärung vom
25.2.2008 verpflichtet und die Abgabe der Erklärung selbst veranlasst.
Wie oben bereits dargelegt, ergibt sich jedoch weder aus der
Aufrechnungsregelung des § 51 SGB I noch aus einer analogen Anwendung des § 23
Abs 1 S 3 SGB II eine Berechtigung des Beklagten zur Einbehaltung von
Teilen der Regelleistung zur Rückzahlung eines Mietkautionsdarlehens.
Mit diesem Verzicht würden daher die für den streitigen Zeitraum
geltenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des
Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
unterlaufen.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=153431
http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2012/07/arbeitslosengeld-ii-unterkunft-und.html
Willi S
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