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: Entziehung/Versagungsbescheid

Seit der Neufassung des § 39 SGB II zum 01.04.2011 ist eine Entziehung der bewilligten Leistung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht mehr sofort vollziehbar gemäß § 39 Nr. 1 SGB II Bayerisches Landessozialgericht,Beschluss 04.2012, - L 7 AS 222/12/B ER


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Zumutbarkeit von Arbeit Seite 135 - 143 § 10 Abs. 1 S. 1 SGB II usw.

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Beitrag von Willi Schartema So 1 Jul 2012 - 15:58

Zumutbarkeit von Arbeit Teil 1

Zumutbar ist:

• jede Arbeit (§ 10 Abs. 1 S. 1 SGB II)

• jede Eingliederungsmaßnahme (§ 10 Abs. 3 SGB II]

• jedes Sofortangebot (§ 15a SGB II)

AUSNAHMEN

• § 10 Abs. 1 Nr. 1: der/die Erwerbsfähige ist hierzu körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage (§ 10 Abs. 1 Nr.1 SGB II)

• § 10 Abs. 1 Nr. 2: die Ausübung erschwert wegen besonderer körperlicher Anforderungen die künftige Ausübung der bisherigen überwiegenden Tätigkeit (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB II)

• § 10 Abs. 1 Nr. 3: die Ausübung der Arbeit gefährdet die Erziehung eines Kindes des Hilfeempfängers oder dessen Partner (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II)

• § 10 Abs. 1 Nr. 4: sie ist mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar und kann nicht auf andere Weise sichergestellt werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II)

• § 10 Abs. 1 Nr. 5: ein sonstiger Zumutbarkeit von Arbeit Teil 2 Nr. 1: körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage (§ 10 Abs. 1 Nr.1 SGB II)

körperlich nicht in der Lage
• akute Erkrankung / Arbeitsunfähigkeit
• zu dieser Arbeit aus körperlichen Gründen nicht fähig (gehbehindert, schwer asthmakrank, keine überwiegend stehende Tätigkeiten …)
• Einschränkung durch Behinderungen / tätigkeitsbezogene Einschränkungen (bei Bandscheibenvorfall kein Spargelstechen)
• psychische Erkrankungen
• Fehlbildungen am Skelett bei überwiegenden Zwangshaltungen
• Muskelerkrankungen
geistig und seelisch nicht in der Lage:
• Arbeitsstelle im Nachbarhaus des gewalttätigen Ehemanns
• bei früheren Arbeitgeber mit Mobbing, psychischer Druck oder sexueller Belästigung
• mit Essstörungen als Koch
• mit Alkoholproblem als Barkeeper
• bei Depressionen oder anerkannter psychischen Erkrankung Einsatz in überwiegenden stressigen Bereichen

Die genannten Punkte stellen keine abschließende Aufzählung da.

Fundstellen: FH zu § 10; LPK-SGB II, 2. Aufl. § 10; Leitfaden zum Arbeitslosengeld S. 122 ff. ; Leitfaden ALG II/Sozialhilfe, S. 13 ff, Eicher/Spellbrink § 10

Zumutbarkeit von Arbeit Teil 3
Nr. 2: Die Ausübung der Arbeit erschwert wegen besonderer körperlicher Anforderungen die künftige Ausübung der bisherigen überwiegenden Tätigkeit Erschwernis künftiger bisheriger Erwerbstätigkeit

Diese Norm dürfte sehr selten zum Tragen kommen, und nur dann, wenn wegen „besonderer Schwere“ einer auszuübenden Tätigkeit bisherige besondere Fertigkeiten zur Disposition stehen.

• z.B. Steinekloppen für Konzertpianisten, Kunsthandwerker, Goldschmied …

Nr. 3: „Die Ausübung der Arbeit, die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist; die zuständigen kommunalen Träger sollen darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Zumutbarkeit von Arbeit Teil 4

Nr. 3 Gefährdung der Erziehung eines Kindes
• mit Kind unter drei Jahren besteht in keinem Fall Arbeitspflicht
• die Erziehungsgefährdung bezieht sich auch auf Kinder des eäG Partners
• bei zwei Elternteilen besteht für den anderen Arbeitspflicht
• ist das Kind in Betreuung (KiTa, Hort, Schule …), besteht in der Zeit der betreuenden Erziehung „in der Regel“ Arbeitspflicht
• liegen besondere Umstände des Einzelfalls vor, kann dies der Regelvermutung entgegenstehen

• Die Erziehung des Kindes obliegt den Eltern, nach Art 6 Abs. 2 S. 1 GG haben die Eltern zu entscheiden, was für die Kinder vorteilhaft ist und nicht der Fallmanager.

Daraus leitet sich ab, dass es keine Pflicht gibt, das Kind in eine Tageseinrichtung oder Betreuung gegen den ausdrücklichen elterlichen Willen stecken zu müssen.

• Ob eine dahingehende Weigerung einen Sanktionstatbestand darstellt wird die Rechtsprechung klären müssen.

• Die Dienstanweisung der BA, „der Hilfebedürftige hat sich bei Dritten um die Sicherstellung der Betreuung des Kindes zu bemühen und dies auf Verlangen nachzuweisen“ (FH 10.10) entbehrt einer Rechtsgrundlage.

Einen Sanktionstatbestand „Weigerung Kinder Fremdbetreuen zu lassen“ gibt es nicht.

In der Folge wäre eine dahingehende Regelung in einer EGV nichtig (§ 58 Abs. 2 Nr. 1 SGB X).

• Aus der gesetzlichen Maßgabe vorrangig Eltern mit Kindern ab drei Jahren eine Kinderbetreuung anzubieten, lässt sich keine Pflicht ableiten, diese annehmen zu müssen.

Zumutbarkeit von Arbeit Teil 5
Nr. 3 Leitlinien der Rechtsprechung zur Zumutbarkeit von Arbeit mit Kindern

► Alleinerziehende mit nicht schulpflichtigen Kindern

Es gibt einige (BSHG) Entscheidungen, die sagen, dass Alleinerziehenden mit nicht schulpflichtigen Kindern grundsätzlich keine Arbeitstätigkeit zugemutet werden kann (LPK - SGB II, 2. Aufl. § 10 Rz 22).

Gegen diese grundsätzliche Entscheidung wurde aber auch von verschiedenen Gerichten entgegengetreten.

► bei schulpflichtigen Kindern
Je nach Einzelfall Teilzeitbeschäftigung (LPK - SGB II, 2. Aufl. § 10 Rz 22). BVerwG bei 9-jährigem „nur“ Halbtagsbeschäftigung, VGH BW bis 12 Jahre Teilzeit, danach Vollzeit (Leitfaden ALG II/Sozialhilfe, Stichwort Arbeit, 1.363, S. 14).

► bei drei und mehr Kindern im Schulalter
Bei drei und mehr Kindern im Schulalter ist die Arbeitsaufnahme nicht zumutbar (VGH BW FamRZ 1999, 409, 410)

►Gesamtumstände sind maßgeblich
Letztendlich kommt es auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an, ob eine Arbeit zumutbar ist, insbesondere die Situation der Kinder, deren Alter, Zeiten der schulischen und sonstiger Betreuung, erzieherische Probleme, soziales Umfeld, Versetzungsschwierigkeiten…

Im Einzelfall wäre es hilfreich, die Situation durch Stellungnahmen von Fachberatungsstellen, Ärzten, Lehrern, Pfarrern usw. belegen zu lassen.

► Erziehungsbedarf endet bei Volljährigkeit

Die Erziehungs- und Betreuungsbedürftigkeit kann im gesamten Kindesalter bestehen, sie endet spätestens mit dessen Volljährigkeit (s. § 21 Abs. 3 Nr.1 SGB II).

Zumutbarkeit von Arbeit Teil 6
Nr. 4: Die Arbeit ist mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar ist Eine Arbeit ist nicht zumutbar, wenn diese mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar ist und kann nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II)

 das muss kein naher, sondern kann durchaus auch ein ferner Angehöriger sein (Bezug § 16 Abs. 5 SGB X)

 die Pflege muss tatsächlich erforderlich sein und nicht auf andere Art und Weise sichergestellt werden

Nr. 5: Sonstige wichtige Gründe
Eine Arbeit ist nicht zumutbar, wenn dieser ein sonstiger gewichtiger Grund entgegen steht (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II).

Diese können sein:
 Schulbesuch (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) (FH 10.17)
 Besuch einer berufsvorbereitenden Maßnahme (FH 10.17)
 Erstausbildung (FH 10.17)
 Aufstiegsfortbildung (FH 10.17)
 unentgeltliche Probearbeit (SG Aachen vom 22.3.07 – S 9 AS 32/07 ER)
 Verstoß gegen ein Gesetz , so z.B.: Arbeitszeitgesetz, -stättengesetz,
Jugendschutzgesetz, MutterschutzG, KinderarbeitsschutzV
 Lohnwucher besteht bei nicht einmal 2/3 des üblichen Lohns (BAG v. 22.04.2009 – 5 AZR 436/08), auch bei 5,20 € bei einem Helfer in der Elektromontage beim Textildiscounter Kik [AG Dortmund v. 29.05.2008 - 4 Ca 274/08]), 4,50 € Stundenlohn sind unzumutbar (SG Do vom 02.02.2009 – S 31 AS 317/07)

Zumutbarkeit von Arbeit Teil 7

 wenn die Aufwendungen für eine Arbeit höher sind, als die Einnahmen aus der Arbeit (FH 10.21)

 keine Arbeitspflicht bei Prostitution, auch wenn sie früher schon einmal ausgeübt wurde (FH 10.17)

 die angebotene Arbeit darf nicht sittenwidrig sein, d.h. Dienstleistungen mit sexuellem Bezug, wie Telefonsex-Angebote (Rixen in Eicher/Spellbrink § 10, Rz 106, 107)

 bei einem Arbeitgeber, bei dem der AN schon mal beschäftigt war und berechtigt war, aus wichtigem Grund zu kündigen (FH 10.17) z.B. Mobbing, sexuelle Belästigung

 kein Einsatz als Streikbrecher, weil Verstoß gegen die „guten Sitten“

 notwendige oder sinnvolle Praktika können ebenfalls gewichtige Gründe sein (Bezug § 1 Abs. S. 4 Nr. 1 SGB II)

 Geldstrafen Tilgung in Form von gemeinnütziger Arbeit (vgl. § 120 Abs.1 SGB III)

Zumutbarkeit von Arbeit Teil 8

Eine Arbeit ist nicht alleine deswegen unzumutbar, weil:
• kein Ausbildungs- und Berufsschutz „sie nicht einer früheren Tätigkeit des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entspricht, für die er ausgebildet wurde oder die er ausgeübt hat“

(§ 10 Abs. 2 Nr.1 SGB II)

• kein Qualifikationsschutz
„sie im Hinblick auf die Ausbildung, als geringer wertig anzusehen ist“

(§ 10 Abs. 2 Nr.2 SGB II)

• weitere Entfernung des Beschäftigungsortes
„der Beschäftigungsort vom Wohnort des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen weiter entfernt ist als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort“

(§ 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB II)

• bei ungünstigeren Arbeitsbedingungen
„die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei den bisherigen Beschäftigungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen“

§ 10 Abs. 2 Nr.4 SGB II)

• Zumutbarkeit auch bei Arbeitseingliederungsmaßnahmen
„Die Absätze 1 und 2 gelten auch für die Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit“

(§ 10 Abs. 3 SGB II)

Hier dürfte § 121 Abs. 4 SGB III trotzdem als Obergrenze gelten:

• tägl. Gesamt-Pendelzeiten von 2 Std. für einen 6 Std. – Job und 2 ½ Std. Pendelzeit für einen 8 Std.- Job.

• Ausnahme: der Betreffende ist zu einer so langen Pendel- und Arbeitszeitkörperlich, geistig und seelisch nicht in der Lage oder die Erziehung eines Kindes steht dem entgegen.

• Vorsicht:
Die BA sieht hier in ihren FH‘s die Umzugspflicht in der ganzen BRD vor, auch von Fam. mit schulpflichtigen Kindern.

 Dem kann regelmäßig die „Gefährdung der Erziehung“ entgegen stehen

Hier ist das Kriterium eindeutig, dabei ist immer auf die letzte Beschäftigung abzustellen und nicht auf „eine“ Beschäftigung vor x Jahren.

Der Betreffende ist in der Beweispflicht.

Der Abs. 1 beinhaltet die Gründe für eine Unzumutbarkeit, er ist daher Schutzklausel !

Der Begriff ist unscharf und nicht gefüllt, es ist aber davon auszugehen, dass es sich dabei vorrangig um die Maßnahmen mit forderndem Charakter handelt wie Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie Arbeitsgelegenheiten jedweder Ausgestaltung.

Tipp: Damit werden aber auch die Einschränkungen für Eingliederungsmaßnahmen deutlich.

Zumutbarkeit von Arbeit Teil 9

Seit dem 01.01.2009 gelten neue Zumutbarkeitsregeln:
§ 10 Zumutbarkeit
… (2) Eine Arbeit ist nicht allein deshalb unzumutbar, weil
….
5. sie mit der Beendigung einer Erwerbstätigkeit verbunden ist, es sei denn, es liegen begründete Anhaltspunkte vor, dass durch die bisherige Tätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden kann. Hier wird durch Rechtsprechung auszuloten sein, was im Einzelfall unzumutbar bedeutet.

Im Kern regelt dies aber für eine „Hilfebedürftigkeit reduzierende Tätigkeit“, es muss eine bisherige Tätigkeit aufgegeben werden.

Dabei wird die Dauerhaftigkeit der zukünftigen Tätigkeit relevant sein, z.B. nur unbefristete Tätigkeit, keinesfalls nur Arbeitsangebote und nicht ohne verbindliche Zusage, ein Umzug wird vor der BSG-Entscheidung „der Hilfeempfänger hat ein grundsätzlich zu respektierenden Recht des Verbleib in seinem sozialen Umfeld“ (BSG vom 7.11.06 - B 7b AS 10/06 R, Rz 24) schwerlich durchzusetzen sein.

• Keinesfalls zulässig dürfte die Forderung sein, für einen Ein-Euro-Job eine reguläre Tätigkeit abzubrechen, da dieser genau keine „Arbeit“ (§ 16d Satz 2 SGB II) darstellt.

Als Konsequenz bei Ablehnung einer zumutbaren Arbeit kann max. eine Sanktion nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 c) SGB II erfolgen, eine mehrfache Sanktion ist nicht möglich.
http://www.tacheles-sozialhilfe.de/harald/SGB_II_Folien.pdf Seite 135 - 143
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