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EGV-VA niemals Nötigung immer durch das Jobcenter

: Entziehung/Versagungsbescheid

Seit der Neufassung des § 39 SGB II zum 01.04.2011 ist eine Entziehung der bewilligten Leistung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht mehr sofort vollziehbar gemäß § 39 Nr. 1 SGB II Bayerisches Landessozialgericht,Beschluss 04.2012, - L 7 AS 222/12/B ER


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Beitrag von Willi Schartema Mo 2 Jul 2012 - 3:30


"Das war doch ein Notfall! 375 Euro sind doch erlaubt!" Die junge Frau in einer modischen Jeansjacke versteht die Welt nicht mehr. Vor ein paar Monaten ist sie umgezogen. "Die Wand war schimmelig", sagt Tatjana F. Direkt an ihrem Bett. Echt krass war das, da zu leben, sagt sie. Da hat sie gekündigt und ist in eine Wohnung gezogen, die ihre Mutter angemietet hat.


Tatjana F. lebt von Hartz IV. Deshalb sitzt sie an diesem Tag hier, vor der Richterin in Saal 158 im ersten Stock des Sozialgerichts in Berlin-Mitte. Das Jobcenter will die neue Miete von 375 Euro nicht übernehmen und zahlt die alte Miete von 320 Euro weiter. Denn Tatjana F. ist ohne Zustimmung des Jobcenters umgezogen. Dagegen klagt sie nun. Ihre Mutter hat sie gleich mitgebracht. Das Jobcenter habe gesagt, sie könne sich eine neue Wohnung suchen, beteuert das Mädchen. Schriftlich hat sie das aber nicht. Fotos vom Schimmelbefall? Briefe an den Vermieter? Nein, so etwas hat die Klägerin nicht. "Man hat doch als Mieter Rechte", sagt die Richtern. Warum haben sie dem Vermieter keine Frist gesetzt und die Miete gemindert?". Die junge Frau zuckt mit den Achseln: "Das habe ich mich nicht getraut."


Dieser Morgen ist kein guter Morgen für Mutter und Tochter. Ihre Klage werde wohl kaum erfolgreich sein, erklärt ihnen die Richterin nach einer Besprechung mit den Schöffen. Es wäre ihre Pflicht gewesen, die Notwendigkeit des Umzuges nachzuweisen. "Das haben Sie nicht getan", stellt die Richterin fest. Deshalb bleibt der Mietzuschuss weiter auf 320 Euro beschränkt. Die junge Frau fängt an zu weinen. "Wie soll sie denn jetzt die Miete bezahlen", fragt ihre Mutter empört. Doch darauf weiß die Richterin eine Antwort: "Da gibt es drei Möglichkeiten: Entweder Sie verdienen sich etwas dazu, Sie sparen die 55 Euro an anderer Stelle ein - oder Sie suchen sich eine billigere Wohnung, aber diesmal mit Zustimmung des Jobcenters." Die junge Frau weint nun nicht mehr. Wütend stapft sie mit ihrer Mutter aus dem Sitzungssaal.
Arbeit für 107 Kammern

Berlin ist die Hauptstadt von Hartz IV und das Sozialgericht an der Invalidenstraße das größte in Deutschland. In dem prächtigen Bau, im Kaiserreich als Direktionsgebäude der Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft neben dem Hamburger Bahnhof errichtet, werden seit 30 Jahren die Alltagsprobleme der kleinen Leute verhandelt. Seit Einführung von Hartz IV herrscht in dem Neorenaissance-Palast Hochbetrieb. Mehr als 150.000 Klagen sind in den letzten sieben Jahren beim Sozialgericht Berlin eingegangen. 107 Kammern beschäftigen sich allein mit der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Klage von Mutter und Tochter ist typisch für die Fälle, die hier verhandelt werden: Oft geht es um die Kosten für die Unterkunft, die komplizierte Anrechnung von Einkommen auf die Leistung der Jobcenter, es geht um Kürzungen, Sanktionen und die Verletzung gesetzlicher Bearbeitungsfristen.


"Kein Kläger bläst zum Sturm auf unser Sozialsystem", sagt Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma. "Kaum einer prozessiert aus Prinzip". Hartz IV ist ein Gesetzeswerk, das in den letzten sieben Jahren 60 Mal ergänzt und verändert wurde. Nicht nur die sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger, auch die Mitarbeiter in den Jobcentern finden sich in dem Paragrafendschungel nicht immer zurecht.


Monat für Monat erreichen das Gericht Dutzende von Untätigkeitsklagen, weil das Jobcenter wegen Personalmangels nicht mit der Arbeit hinterher kommt. "Die Überforderung der Jobcenter führt zur Überlastung der Gerichte", ärgert sich Schudoma. "Statt Gerichtsfragen zu lösen, wird das Gericht zum Mahnbüro". Für die Juristen ist das Sozialgesetzbuch II ein Beschäftigungsprogramm. Die Zahl der Sozialrichter hat sich seit 2005 mehr als verdoppelt, heute sind es 127. Im Sommer sollen weitere zehn hinzukommen. Erstmals sank im vergangenen Jahr die Zahl der neu eingereichten Fälle, die "Klageflut" ebbte bundesweit um zehn Prozent ab. Eine "Trendumkehr", wie vom zuständigen BA-Vorstand Heinrich Alt erhofft, können die Richter in Berlin nicht erkennen. Im ersten Halbjahr stieg die Zahl der Fälle bereits wieder an.


Der Staat macht es seinen Bürgen auch einfach. Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist kostenlos. Jeder kann mit einem handschriftlichen Schreiben formlos eine Klage einreichen. "Die Klage muss nur unterschrieben sein", sagt Gerichtssprecher Marcus Howe. Die Kläger können sich aber auch einen Anwalt nehmen. Sofern die Klage Aussicht auf Erfolg verspricht und der Kläger bedürftig ist, gibt es Prozesskostenhilfe. Die Bedürftigkeit ist bei Hartz-IV-Bezug in der Regel sowieso erfüllt. Und auch die Erfolgsaussichten sind angesichts der oft umstrittenen Rechtslage meist nicht von der Hand zu weisen. "Bei so einem neuen Gesetz gibt es noch eine Menge offener Fragen, etwa, wenn Sozialgerichte und Landessozialgerichte unterschiedlich geurteilt haben", sagt Howe. Bei so einer unklaren Rechtslage könne man dem Kläger nicht absprechen, selbst Recht vor Gericht zu suchen.


Zumal die Erfolgsquote tatsächlich recht hoch ist. Mehr als die Hälfte aller Klagen - 54 Prozent - erweisen sich zumindest teilweise als berechtigt. In anderen Verfahren liegt die Erfolgsquote nur bei einem Drittel. Die Statistik sei allerdings mit Vorsicht zu genießen, warnt Gerichtssprecher Howe. Bei weitem werde nicht jeder zweite Fall vor Gericht gewonnen. Denn auch der, der nur teilweise Recht bekommt, taucht in der Statistik auf. Wer etwa 400 Euro einklagt und am Ende 20 Euro bekommt, wird als Erfolg geführt.
Das Gros der Kläger entscheidet sich für einen Anwalt. Der Anteil der Fälle mit Anwalt ist in den letzten fünf Jahren von 50 auf 70 Prozent gestiegen.


Für den Anwalt lohnt sich das allerdings nur als Massengeschäft. Denn mit Hartz-IV-Verfahren lässt sich nicht viel verdienen. Selten gebe es mehr als 500 oder 600 Euro für einen Fall, schätzt Howe. Vor dem Sozialgericht zählen nicht die Streitwerte, sondern Umfang und Schwierigkeit sowie die finanziellen Verhältnisse des Klägers.

Konnte der Fall schriftlich erledigt werden, gab es einen Termin oder zwei? Wurden Zeugen gehört? Howe:

"Im Sozialrecht kann man als Anwalt nur dann Geld verdienen, wenn man möglichst viele gleichgelagerte Fälle hat." Das Geschäft lohnt sich für Anwälte, die sich nicht in jeden Fall einarbeiten müssen, sondern die sich auf Hartz IV spezialisieren, die immer wieder ähnliche Fälle mit vorformulierten Schreiben vor Gericht bringen, die über einen großen Mandantenstamm verfügen, der für ein kontinuierliches Einkommen sorgt. Jeder Bescheid, der in einer Familie ankommt, wird dann dem Anwalt zur Prüfung vorgelegt, weiß Howe. "Ein findiger Anwalt findet immer etwas." Es gibt Bedarfsgemeinschaften, die tauchen immer wieder auf, und immer vertreten durch einen Anwalt.

http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article106348245/Ein-findiger-Anwalt-findet-immer-was.html

http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2012/05/ein-findiger-anwalt-findet-immer-was.html

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