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: Entziehung/Versagungsbescheid

Seit der Neufassung des § 39 SGB II zum 01.04.2011 ist eine Entziehung der bewilligten Leistung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht mehr sofort vollziehbar gemäß § 39 Nr. 1 SGB II Bayerisches Landessozialgericht,Beschluss 04.2012, - L 7 AS 222/12/B ER


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Beitrag von Willi Schartema So 10 März 2013 - 8:08

Das Prinzip des
»Förderns und Forderns«, das derzeit im deutschen Sozialrecht gilt, ist
ein Rückfall hinter die Errungenschaft allgemeiner Menschenrechte.


Von Wolfgang Neskovic

Einige Zitate aus diesem brilliantem Text:

"»nd« berichtete vor
kurzem über einen Sanktionierungsfall in Brandenburg, der exemplarisch
für die Willkür dieses Bestrafungsinstrumentes stehen kann:


Einem gelernten Koch
wurde das Arbeitslosengeld II für drei Monate komplett gestrichen, weil
er einen ihm zugewiesenen Computerkurs nicht besuchte. Besser gesagt
nicht zum dritten Mal.


Denn schon zweimal zuvor wurde er in Kursen, allerdings von anderen Trägern, in die Grundlagen der Internetnutzung eingewiesen.

Damit er sich mit den
nötigsten Lebensmitteln versorgen konnte, erhielt er vom Amt einen
Gutschein über 176 Euro - einzulösen bei einem einzigen Einkauf,
Restgeldauszahlung unmöglich.




Das Bundesverfassungsgericht hat ein Menschenrecht auf ein Minimum staatlicher Leistung geschaffen: das Existenzminimum.

Es umfasst den unbedingt
notwendigen Bedarf des Einzelnen zum physischen Überleben sowie zur
Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.


Das Existenzminimum muss
in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein. Das erfordern die
Menschenwürde und der Sozialstaat.


Doch diese Grundsätze stehen zunächst nur auf dem Papier.

Zu ihrer Umsetzung ist die Bundesregierung verpflichtet. Sie verweigert sich mit einem Prinzip, das lautet:

»Fördern und Fordern«. Dieses Prinzip widerspricht dem höchsten Gebot unserer Verfassung:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Die sogenannten
Sanktionen sind im internationalen Vergleich die strengsten Kürzungen
bei Grundsicherungsleistungen. Über eine Million dieser Sanktionen
verhängten die Jobcenter in den vergangenen zwölf Monaten, mehr als je
zuvor.


Mehr als 10 000
erwerbsfähige Leistungsberechtigte waren im Jahresdurchschnitt 2011
sogar »vollsanktioniert«, ihnen wird kein einziger Euro ihrer
Hartz-IV-Regelleistung ausgezahlt.


Obwohl sie
bedürftig sind. Obwohl sie vielleicht Not leiden. Obwohl sie vielleicht
von Obdachlosigkeit bedroht sind oder hungern. Aus einem einzigen Grund:
Weil sie nicht gehorchen.


Sanktionen sind
Verhaltensnoten, bloß dass statt der Versetzung die Existenz gefährdet
ist. Nimmt der Betroffene brav bestimmte »Pflichten« wahr, wird ihm sein
Existenzminimum ausgezahlt.


Andernfalls wird ihm
kurzerhand sein Regelsatz zusammengestrichen. Wer sich dauerhaft
widerständig zeigt, bekommt nicht einmal mehr die Kosten der Unterkunft
und die Krankenversicherung bezahlt.


Das ist gerecht, könnte
man meinen, denn wer (noch) einen Job hat, arbeitet schließlich auch für
sein Geld. Es überlebt nur, wer etwas dafür tut. Das ist die
Gerechtigkeit einer Leistungsgesellschaft.



Die verfassungsrechtliche Wahrheit ist:

Für die Höhe der
staatlichen Leistung muss der Bedarf der Bürgerinnen und Bürger
entscheidend sein. Ihn auszurechnen und zu garantieren, ist Sache des
Gesetzgebers. Ihn zu beschneiden nicht.


Das Existenzminimum muss bei gleichem Bedarf stets gleichermaßen gewährt werden.

Der für die eigene
Existenz notwendige Bedarf sinkt nicht dadurch, dass jemand eine andere
Staatsangehörigkeit besitzt. Er sinkt auch nicht dadurch, dass jemand
sich nicht regelkonform verhält.


Das Existenzminimum muss
nach dem Bundesverfassungsgericht »in jedem Fall und zu jeder Zeit«
sichergestellt sein. Denn die Menschenwürde ist »migrationspolitisch
nicht zu relativieren«. Sie ist auch fiskalpolitisch und
arbeitsmarktpolitisch nicht zu relativieren.


Die Abhängigkeit eines Menschenrechts von Bedingungen bedeutet in Wirklichkeit seine Einschränkung.

Die Bundesregierung hält trotzig an ihren Prinzipien fest. Die lauten: Tausche Gehorsam gegen Existenz.

Menschenrechte gelten für alle. Sie stehen nicht im Ermessen einer Regierung oder eines Sachbearbeiters im Jobcenter.

Sie können nicht an Bedingungen geknüpft werden. Auch soziale Grundrechte sind unverkäuflich und nicht verhandelbar.

Nicht nur fleißigen
Arbeitslosen, die täglich Bewerbungen schreiben und jede unterbezahlte
Arbeit annehmen, steht eine menschenwürdige Existenz zu. Auch Menschen,
die sich versehentlich oder bewusst der Zusammenarbeit mit den Behörden
entziehen, Personen ohne Aufenthaltstitel, Strafgefangene in Haft und
alle weiteren, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Persönlichkeit,
haben Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.


Ebenso, wie sie beispielsweise ein Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit haben.

Das Prinzip
des »Förderns und Forderns«, das derzeit im deutschen Sozialrecht gilt,
ist ein Rückfall hinter die Errungenschaft allgemeiner Menschenrechte.


Wieder einmal
wird es wohl das Bundesverfassungsgericht sein, das irgendwann
einschreitet, wenn ein beherztes Sozialgericht ihm die Frage vorlegt.


Bis dahin werden weiter
Sanktionen verhängt, die Menschen in noch mehr Not und Armut stürzen.
Bis dahin wird die Menschenwürde tagtäglich verletzt.


Gäbe es einen Verfassungsschutz, der diesen Namen verdient, so müsste er schleunigst handeln."

http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2013/03/minimiertes-menschenrecht-das-prinzip_9.html

Willi S
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